Zwischen den Rillen
: Erfüllte Wünsche

■ Digitales Kulturrecycling mit Costello, Dylan, Cash & Co

Über eine Platte wie die neue Costello läßt sich viel Artiges sagen: daß Interpretation und Produktion der auf ihr versammelten Rhythm'n'Blues-Klassiker „kongenial“ wirken; daß James Burton, Seitenmann schon von Elvis P., an der Gitarre dabei ist; daß Elvis C. mal wieder so schön singt, wie er nur kann – auf einer abstrakteren Ebene reagiert „Kojak Variety“ aber auf etwas ganz anderes: das ungeheure Anwachsen der Archive und die latente Entwertung, die ihr ständiges Recycling mit sich bringt. Plötzlich wird klar, wie sehr die Flut der „Tribute-to“-Platten, die Erweiterung der Back-Kataloge, die Gleichzeitigkeit von Information in den heraufziehenden elektronischen Speichern selbst diejenigen Musiken ergreift, die sich von der Entwicklung abwenden. Costello tut das, indem er einen Kinderglauben reinszeniert, den Glauben an die Macht der Lieblingsmusik als zeitüberdauerndes Gut.

„This is a record of some of my favourite songs performed with some of my favourite musicians“, lautet der erste Satz der Liner Notes, die sich gleich darauf in weitschweifige Legenden verlieren, wo und unter welchen Umständen das (Vinyl-)Original für den Costello-Abguß gefunden wurde: Auf ausgedehnten Reisen durch Amerika nämlich oder damals, als Kind, in semimythischen Plattenläden wie „Rock On“ in Camden Town oder „Potter's Music“ in Richmond. Beschrieben wird eine Archäologie des geglückten Augenblicks, die Kulturgut des prädigitalen Zeitalters – von Screamin' Jay Hawkins' „Strange“ über Dylans „I Threw It All Away“ bis hin zur Bacharach/David-Komposition „Please Stay“ – allein durch die Subjektivitätsschleuse nachfühlender Interpretation für die digitale Gegenwart retten will.

Der konservative Impuls dieser Rekonstruktionsarbeit wäre kaum genießbar, wäre er nicht zugleich romantisch bearbeitet. „Rhythm & Blues – Popular Ballads“ ist der lapidare Untertitel von „Kojak Variety“, äußerlich wird offensiv auf alle Insignien einer Liebhaberedition verzichtet. Der Sampler weiß sozusagen um die Konkurrenz der Billig- und Trashprodukte, den gemeinsamen Stellplatz im Musik-Supermarkt, und er kann ihr nur noch begegnen, indem er die Exklusivität des erfüllten Wunsches ironisch mit Eduscho-Farben und Allerweltsgrafik tarnt: Möge das hier finden, wer danach sucht.

Ohne diese Flaschenpost- Prinzip entsteht ein vergleichsweise pragmatisch-plattes Produkt wie die jüngste Platte der Highwaymen. Vor Jahr und Tag als Krisenzusammenschluß der Country All- und Alt-Stars Johnny Cash, Willie Nelson, Waylon Jennings und Kris Kristofferson gegründet, entwickelt sich das Projekt mehr und mehr zu einem Renner auf dem Gebiet der Wiederaufbereitung eigener und fremder Country-Balladen. Die Highwaymen sind sozusagen ein wandelnder Back-Katalog, ein Viererpack verschieden ausdifferenzierter Knarzigkeit, auf die sich das zu interpretierende Liedgut einigermaßen bequem verteilen kann. „The Road Goes On Forever“, wie es als Geschäftsauftrag im Titel dieser dritten LP heißt – mit dem Nachteil allerdings, daß Klassiker wie „The Devil's Right Hand“ (der Steve-Earle-Titel) doch weit, allzu weit hinter dem Original zurückbleiben und Flausen wie Extravaganzen generell wenig Raum gewährt wird. Lieblingsmusiken sind eine leicht verderbliche Ware. Spätestens Track 4 sagt es in tautologischer Eindeutigkeit: „It Is What It Is (Cause It Ain't What It Used To Be)“.

Wanderprediger Bob Dylan schien solch nüchternem Tagesmenschentum bislang einigermaßen souverän entronnen. „Somebody showed me a picture and I just laughed/Dignity never been photographed“ sang er in „Dignity“, seinem letzten wirklich guten eigenen Stück – aber, fragt man sich heute: Was, wenn sie digitalisiert wurde, die Würde? Der antimediale Affekt der zuletzt durch zwei Puristenplatten geschickt gehegten Dylan-Imago (just a man and his guitar ...) paßt jedenfalls schlecht zu den Kämpfen, die derselbe Mann an der technologischen Erneuerungsfront führt. Vor kurzem erst wurde auf diesen Seiten die „Highway 61 Interactive“-CD-ROM besprochen, das Dylan-Archiv zum Anklicken, jetzt folgt eine weitere Umformatierung der eigenen Vergangenheit in Gestalt einer „Unplugged“-Session.

Daß Dylan, der ja beträchtliche Teile seines Werks „unplugged“ eingespielt hat, dieses von MTV ausgerichtete Spielchen mitmachen würde, hätte ich nicht für möglich gehalten, daß er es zu einem Zeitpunkt tut, da „unplugged“ als Mode längst over the top ist, hätte schon wieder was – würde es ihm nur gelingen, seinen eigenen Klassikern, deren Historischwerden er über Jahre hinweg in endlosen Ab- und Umschriften entgegengearbeitet hat, etwas Neues hinzuzufügen. Doch „Knocking On Heaven's Door“ klingt, als würde ein frivoler Dylan-Imitator zu ungehemmt aufdrehen, und „The Times They Are A-Changing“ kommt regelrecht peinlich, weil es sich mit seiner Sixties-Botschaft 1:1 bei der MTV-Generation anbiedert. „Dylan Unplugged“ ist im besten Fall eine Art young person's guide to Bob Dylan, im schlechtesten eine Greatest-Hits-Live-LP, die gerade dadurch lausig wirkt, daß der Künstler entgegen seiner Gewohnheit Erwartungshaltungen erfüllen will.

Der Dylan-Legende wird auch das keinen Abbruch tun, folgt sie doch dem hermeneutischen Zirkel, einem Textverständnismodell, das sich aus der unendlichen Auslegung der Heiligen Schrift entwickelt hat. So werden die Fans diesen Akt zu interpretieren wissen, und so war er (hoffentlich) auch gemeint. Thomas Groß

Elvis Costello: „Kojak Variety“ (WEA)

The Highwaymen: „The Road Goes On Forever“ (Liberty/ EMI)

Bob Dylan: „Dylan Unplugged“ (Columbia/Sony)