■ Das Portrait
: Der Überflieger

Frankreichs Premierminister Alain Juppé Foto: Reuters

„Er ist der Beste seiner Generation“, sagte Jacques Chirac schon vor Jahren über Alain Juppé. Der war bereits als Schüler in der südwestfranzösischen Region Landes Überflieger. Er blieb es an der Eliteuniversität ENA und bei seinen beruflichen Anfängen als Steuerinspektor. 1976 trat er in den Dienst von Chirac – zunächst als Redenschreiber, doch schon bald mischte er bei den Inhalten mit. Seine Kollegen erlebten ihn als „brillant, kultiviert, kühl und ehrgeizig“.

Mit der Ernennung des 49jährigen zum Premierminister hat Präsident Chirac seinem Getreuen für dessen unersetzliche Hilfe in den Höhen und Tiefen des Wahlkampfes gedankt. Er bekannte sich zugleich zu den europäischen Verpflichtungen seines Vorgängers. Und er nahm sich einen Technokraten reinster französischer Machart an die Seite.

Seine politischen Erfahrungen hat Juppé sämtlich im Windschatten von Chirac gesammelt. Als Generalsekretär der neogaullistischen RPR stand er – hinter Chirac – an zweiter Stelle der Parteihierarchie. 1986, als Chirac für zwei Jahre Premier wurde, bekam Juppé seinen ersten Kabinettsposten als Haushaltsminister. Als die Konservativen 1993 ihre Vierfünftelmehrheit im Parlament erzielten, erhielt er mit dem Außenministerium den zentralen Posten an der Seite von Chiracs innerparteilichem Rivalen, Premierminister Edouard Balladur.

Im Außenministerium beeindruckte Juppé durch Effizienz, Pragmatismus und Zielstrebigkeit und zunehmend auch durch diplomatisches Geschick. Sowohl bei den Diskussionen über den Krieg in Ex-Jugoslawien als auch bei jenen über die Zukunft der Europäischen Union vertrat er, im Gegensatz zu vielen Neogaullisten, eher föderale Konzepte. 1992, vor dem Referendum über die Maastrichter Verträge, hatte er sich für ein Ja stark gemacht.

Juppé, der stets strahlend vor die Kameras tritt, regelmäßig viele gerade Bahnen schwimmt und in zweiter Ehe mit einer Journalistin lebt, die er bei einem Interview kennenlernte, hat nun drei Jahre bis zu den nächsten Parlamentswahlen Zeit, sich als Premierminister zu beweisen. Dabei muß er unweigerlich mit Widerständen aus seiner eigenen Partei rechnen – zumal wenn es um Europa geht, das viele Neogaullisten bekämpfen. Wenn er sich durchsetzt, kann Juppé als starker Kandidat im Jahr 2002 in die nächsten Präsidentschaftswahlen gehen. Dorothea Hahn