Milošević steht nicht unter Druck

Wieder einmal wird in Belgrad darüber spekuliert, ob der serbische Präsident Bosnien völkerrechtlich anerkennt / Doch die Mehrheit der Serben hält am Traum von Großserbien fest  ■ Von Karl Gersuny

Wien (taz) – In der Belgrader Gerüchteküche brodelt es seit Tagen: Angeblich sei Serbiens allmächtiger Präsident Slobodan Milošević nun bereit, die Nachbarrepublik Bosnien völkerrechtlich anzuerkennen. Die kleine unabhängige Tageszeitung Naša borba bringt täglich neue Einzelheiten über einen Deal, den Briten und US-Amerikaner mit Milošević ausgehandelt haben sollen.

Den anonymen Quellen zufolge habe das Belgrader Regime nur eine wichtige Bedingung an die Anerkennung geknüpft: Die Regierung in Sarajevo müsse abtreten, und anstelle des „Fundamentalisten“ Alija Izetbegović und der „dogmatischen moslemischen“ Führungsspitze solle eine „weltliche Gruppe“ unter Obhut der UNO eingesetzt werden. Ob in dieser Regierung nach den Vorstellungen Miloševićs auch der bosnische Serbenchef Radovan Karadžić sitzen soll, blieb unklar.

Bisher sind dies zwar nur wilde Spekulationen, doch die Menschen in Ex-Jugoslawien schenken ihnen Glauben. Es gibt keine Zeitung, keine Radioanstalt, die die Enthüllungen von Naša borba nicht aufgreift – und dem Publikum weitere Einzelheiten präsentiert. Das Erstaunlichste an der Geschichte aber ist: Bisher wurden die Berichte nicht dementiert, sondern von Lord Owen, dem EU- Unterhändler für das ehemalige Jugoslawien, indirekt bestätigt. In einer BBC-Sendung sagte der Brite, daß man langsam einer Lösung in Bosnien näherkomme, da die serbische Führung zum Einlenken bereit sei. Und Londons Außenamtschef Sir Douglas Hurd ergänzte: „Es wird immer wahrscheinlicher, daß Milošević Bosnien anerkennen wird.“

In Belgrad spekulieren Intellektuelle seit langem über das Verhältnis Milošević–Karadžić. Die vorherrschende Meinung glaubt Anzeichen dafür gefunden zu haben, daß der bosnische Serbenchef an seinem Kriegskurs nicht mehr lange festhalten kann. Auch sein Verbündeter in Kroatien, der serbische Krajina-Präsident Milan Martić, werde bald durch Milošević-Anhänger seines Amtes enthoben. Martićs Ablösung sei nach der Niederlage im kroatischen Westslawonien unausweichlich. An dessen Stelle würden Milan Babić oder Borislav Mikelić rücken, zwei gemäßigtere Politiker.

Als mögliche Nachfolger von Karadžić werden immer wieder Politiker aus der Region Banja Luka in Nordbosnien genannt, die angeblich moderater und kompromißbereiter seien als der Psychiater. So schlüssig diese Argumente auch scheinen, seit fast zwei Jahren wird in Belgrad über eine Ablösung der bosnischen und kroatischen Statthalter durch Milošević gesprochen – doch passiert ist nie etwas. Karadžić hielt sich an der Macht und Martić gibt sich als Kriegsherr, der den Schock über den Verlust Westslawoniens überwunden hat. „Wir haben eine Schlappe in Slawonien eingesteckt“, gestand er kürzlich bei einem Frontbesuch vor seinen Soldaten ein, „doch eine Schlappe ist noch keine Niederlage.“

Zumindest innenpolitisch steht Milošević derzeit nicht unter Druck, weitgehende Zugeständnisse an seine Feinde zu machen. Die Mehrheit seiner Landsleute hält am Traum eines Großserbien fest, dieses müßte, so ist ab und an zu hören, freilich nicht alle eroberten Gebiete in Bosnien und Kroatien umfassen.

So hat Milošević bedeutenden Freiraum bei seinem Taktieren um Land und Frieden. Auch die Milošević-kritische Presse warnt vor den Regierungen in Sarajevo und Zagreb, die sich angeblich mit „faschistoiden Konzepten“ an der Macht halten, und unter denen es eine Zumutung sei zu leben – erst recht für Serben. In diesen Tagen stehen die serbischen Alternativblätter – Vreme und Republika in der Einseitigkeit ihrer Berichterstattung den kroatischen Blättern in nichts nach. Und auch die kaum verhüllte Ankündigung Zagrebs, nach Westslawonien auch noch andere Serbengebiete militärisch „zu befrieden“, stabilisiert die Herrschaft von Milošević.