: Die Rettung eines „kleinen, zarten, ostdeutschen Pflänzchens“
■ LER – Brandenburgs Alternative zum Religionsunterricht
Potsdam (taz) – Ein „kleines, zartes, ostdeutsches Pflänzchen“ gilt es zu retten – das zumindest hatte sich die Brandenburger PDS vorgenommen, als sie gestern eine aktuelle Stunde zum Thema LER im Potsdamer Landtag initiierte. Hinter dem Kürzel LER verbirgt sich nicht nur das konfessionsfreie Unterrichtsfach „Lebensgestaltung – Ethik – Religion“, sondern auch der derzeit größte Schulmodellversuch Deutschlands. Mehr als 7.000 Brandenburger Schülerinnen und Schüler an 44 Schulen besuchen diesen Unterricht. Alternativ dazu konnten sich die SchülerInnen entscheiden, ob sie anstelle von LER am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen. Doch nur 150 von ihnen wollten den konfessionellen Unterricht. Entstanden ist das neue Fach in der Wendezeit unter Bildungsministerin Marianne Birthler vom Bündnis 90. Denn dort wo mehr als 80 Prozent der Bevölkerung keiner Religionsgemeinschaft angehören, sollte ein Schulfach kreiert werden, in dem Lebensorientierung, Toleranz und die Achtung vor anderen Religionen eingeübt werden können.
Im Sommer diesen Jahres läuft der Modellversuch aus und wird ein Jahr lang als Schulversuch weitergeführt. Sowohl das Potsdamer Bildungsministerium als auch die SPD-Fraktion wollen LER ab dem Schuljahr 1996/97 zum Pflichtfach an Brandenburgs Schulen machen. Konfessioneller Religionsunterricht, das bekräftigte Bildungsministerin Angelika Peter (SPD) auch gestern noch einmal, soll dann in Verantwortung der Kirchen als freiwilliges Angebot von interessierten SchülerInnen wahrgenommen werden können.
Der Evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg, die sich in den letzten drei Jahren an dem LER-Modellversuch beteiligte, schmeckt dies ganz und gar nicht. Pünktlich zur aktuellen Stunde gab die Kirche gestern bekannt, daß sie aus dem LER-Projekt aussteige. Man sei vom Potsdamer Bildungsministerium vor die vollendete Tatsache gestellt worden, daß der jetzt auslaufende Modellversuch fortgesetzt und sogar ausgeweitet werde, beklagte Kirchenpressesprecher Reinhard Stawinski. Die katholische Kirche hatte dem Projekt von vornherein eine Absage erteilt. Brandenburgs SchülerInnen sind hingegen vom LER-Konzept begeistert. Immerhin können sie jetzt ganz ohne Noten und Leistungsdruck über ihre Probleme sprechen. Themen wie Sucht und Jugendkriminalität werden ebenso behandelt, wie Islam, Christen- oder Judentum. Auch Eltern und LehrerInnen stehen voll hinter dem neuen Fach.
Nur die Landesregierung tat sich bisher schwer. Immerhin drohen CDU-Opposition und Kirche mit einer Verfassungsklage. Denn das Grundgesetz (Art. 3, 7) schreibt vor, daß der Religionsunterricht ein ordentliches Lehrfach an den Schulen ist. Ob dieser Artikel für das Land Brandenburg jedoch gilt, ist fraglich. Denn in Ländern, wo 1949 andere Regelungen bestanden, gilt Artikel 3, Absatz 7 der Verfassung nicht.
Im Juli, mitten in der Sommerpause, wird das Bildungsministerium den Abschlußbericht zu dem dreijährigen Schulversuch präsentieren. Anschließend ist es Sache des Landtages, über die Zukunft von LER und konfessionellem Religionsunterricht zu entscheiden. Karin Flothmann
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