„Wir sind nicht alle zu Märtyrern geboren“

■ Lufthansa-Personal folgt Management: Rushdie muß am Boden bleiben! / Bonn hält Beförderungsverweigerung für „rechtlich zweifelhaft“

Berlin (taz) – In einem offenen Brief, der der taz vorliegt, hat die Personalvertretung der Lufthansa die Weigerung des Managements, den verfolgten Schriftsteller Salman Rushdie zu befördern, ausdrücklich unterstützt. Die Erklärung, die vom gesamten fliegenden Personal der deutschen Fluggesellschaft verantwortet wird, richtet sich gegen den Aufruf, die Lufthansa zu boykottieren und dabei insbesondere gegen den Initiator des Boykotts, den Schriftsteller Günter Wallraff.

Die Unterstützung der Belegschaft für ihren Vorstand erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem die Lufthansa nach wirtschaftlichen Erfolgen im letzten Jahr wieder in die roten Zahlen rutscht. In ihrem Brief richtet die Personalvertretung deshalb gegen Wallraff und die 200 ErstunterzeichnerInnen des Boykottaufrufs schwere Vorwürfe. Die Aktion gefährde Arbeitsplätze. Die Rushdie-Unterstützer wollten zudem unbeteiligte Fluggäste zu Geiseln ihrer Kampagne machen. „Könnte es sein, daß Herr Wallraff ein Unrecht zu bekämpfen versucht und dabei übersieht, daß er gleichzeitig ein anderes begeht?“ Sie, die Unterzeichner, fühlten sich jedenfalls nicht zu Helden oder gar Märtyrern im Kampf für die freie Meinungsäußerung berufen und wollten diese Rolle auch ihren Passagieren nicht zumuten.

Gegenüber der taz erklärte Günter Wallraff, der offene Brief sei „das letzte Aufgebot des Lufthansa-Vorstandschefs Weber, um seine Entscheidung, Rushdie nicht zu befördern, zu rechtfertigen“. Nach Informationen von Wallraff ist die Lufthansa auch interner Kritik seitens des Aufsichtsrats ausgesetzt. Das Hauptargument der Lufthansa, eine Beförderung Rushdies gefährde Passagiere und Personal, weist Wallraff entschieden zurück. „Keine Maschine wird vor dem Abflug so penibel gecheckt wie ein Flugzeug, in dem Rushdie säße.“

Auch in Bonn mehren sich die Stimmen, die eine Änderung der Haltung Webers fordern. Bei einem Treffen des Rushdie-Komitees mit Vertretern aller Fraktionen am Freitag letzter Woche wurde beschlossen, den Schriftsteller vom Kulturausschuß des Bundestages einzuladen. Auf eine Anfrage des SPD-Abgeordneten Hans Wallow hat auch die Bundesregierung zu erkennen gegeben, daß sie die Haltung der Lufthansa für falsch hält. Der parlamentarische Staatssekretär im Verkehrsministerium, Johannes Nitsch, teilte Wallow mit, die Bundesregierung sähe zwar aufgrund ihres lediglich 35,7 Prozent betragenden Aktienanteils keine Möglichkeit, „auf die geschäftsführende Tätigkeit des Vorstandes der AG einzuwirken“, halte aber die Beförderungsverweigerung für rechtlich „zweifelhaft“.

Tatsächlich überlegt das Rushdie-Komitee, die Lufthansa bei weiterer Weigerung, Rushdie zu fliegen, zu verklagen. Mit „guten Erfolgsaussichten“, wie Wallraff nach der Auskunft aus dem Ministerium glaubt. Über den Brief der Lufthansa-Personalvertretung kann Wallraff dagegen nur den Kopf schütteln. „Da lassen Personalvertretungen sich von selbstherrlichen Konzernführungen einschüchtern, die ihre Untertanen vorschieben wollen, um eigene Fehlentscheidungen auszubaden.“ Die Vorwürfe gegen ihn persönlich hält er für ein Ablenkungsmanöver. „Die Kampagne ist längst ein Selbstläufer, bei dem wichtige PolitikerInnen eingestiegen sind.“ Die Aufmerksamkeit ihm gegenüber sei „zuviel der Ehre“.

Jürgen Gottschlich Seiten 3 und 10