Wand und Boden
: „Bei Interesse bitte nachfragen“

■ Kunst in Berlin jetzt: Other Men's Flowers, Donelly, Turner, Schaum

Im Juli 1994 veröffentlichte der britische Paragon-Verlag eine Grafikmappe von 15 Londoner KünstlerInnen, die zweierlei gemeinsam haben: sie sind jung und kennen Damien Hirst. Nun zieht die Mappe dem Erfolgskünstler versteckt an der Museumsperipherie hinterher, derzeit ist sie im Pferdestall des Kunsthofs an der Oranienburger Straße 27 zu sehen. Als einzige Vorgabe des Kurators Joshua Compston sollten textbezogene Arbeiten abgeliefert werden, weshalb es viel zu lesen gibt auf den Blättern. Als Start der streng auf Augenhöhe gehängten Drucke hat Don Brown, Jahrgang 62, ein sonores „Lautgedicht“ verfaßt, das etwa 400 obskure Verbände und Gruppen von „Luftwaffe Bond“ bis „Hydronauts“, „Air Traffic Controllers“ oder „Draftsmen“ versammelt. Daneben beschreibt der vier Jahre jüngere Henry Bond etwas umständlich das Panorama von Monaco, bei dem Kirchen und Ennio Morricone eine große Rolle spielen. Stuart Brisley hat das Kommunistische Manifest per Rechencode systematisiert, Sam Taylor-Wood benutzt „Cunt“ in schwarzer Fraktur, und Gavin Turk hat mit phosphoreszierender Farbe ein Techno-Logo entworfen. Das meiste ist glatt dahingedruckt und flott wieder vergessen. Nur Tracey Enims Tagebuchstory, die in Schönschrift von pillendealenden Teens, Sex und Tod erzählt, macht eine Weile traurig. Daß Mat Collishaws Textauszug aus „Lady Chatterley's Lover“ gar nicht zu lesen ist, stört am Ende kaum. Er hat eine Seite der Paperbackausgabe blinddrucken lassen – weiß auf weißem Papier.

Bis 23.5., täglich 14–19 Uhr

Die Galerie caoc hat ihre Räume am Prenzlauer Berg aufgegeben, die Galerie Unwahr ist aus der Kleinen Hamburger Straße vor Judy Lybke in die Invalidenstraße 116 geflüchtet. Zum gemeinsamen Neubeginn gibt es eine Ausstellung des Nordiren Micky Donelly. Seine „No Picnic Series“ bestehen aus 32 Papierarbeiten, die wie eine Mauer im Block gehängt sind. Donelly benutzt als wiederkehrendes Motiv den gesiebdruckten Kopf eines Teddybären, dessen Knopfaugen und Kullernase auf blümchengemusterten Stoffen und schichtweise rotem, schwarzem oder schmutzig orange- bzw. pinkfarbenem Grund entgegentreten. Mit der plumpen Niedlichkeit des cartoonhaften Tierbildes korrespondiert eine Geschichte über Alltagsgewalt: Der Teddy geht als Symbol auf ein Attentat zurück, bei dem im März 1993 durch eine Bombe der IRA in Warrington, England, zwei Kinder getötet wurden. Darauf hatten einige tausend Engländer und Iren Teddybären zur Beileidsbekundung an die Hinterbliebenen geschickt. Donelly nimmt dies Zeichen einer vom politischen Konflikt unabhängigen Solidarität mit den Opfern als Aufhänger, den er mit biographischen Sprengseln aus dem Malbuch der kleinen Schwester, meditativen Ölkreisen oder einem grob hineingepinselten „Fuck!“ überlagert. Zugleich arbeitet Donelly mit Mehrfachbelichtung und Graffiti, bei denen sich die übereinandergeschichteten Bedeutungen nicht aufheben, sondern erst nach und nach in Bewegung geraten. Auch der Titel gehört zum Alltag: Im Irischen bedeutet die Redewendung „life is no picnic“, daß das Leben kein Zuckerschlecken ist.

Bis 10. 6., Mi.–So. 16–19 Uhr

Marschiert man am falschen Ende los, entpuppt sich die Linienstraße als ein stetiges Auf und Ab sozialer Unwägbarkeiten: hier ein besetztes Antifa-Info-Zentrum, dort ein zugemauertes Abbruchhaus, dazwischen Wohnblöcke, Baustoffirmen und ein wunderhübscher, arg begrünter Friedhof à la Fontane. Irgendwann taucht auch die Galerie Parzival auf, deren Einladungskarte mit Maschinengewehr und Handgranaten für Objekte von Michael Turner wirbt. Es kommt dann alles ganz anders, eher gemütlich. Turner ist mehr Archäologe als Aktivist. Die Auslage ist mit Baumwolle zugewoben, drinnen hängen diverse zu landwirtschaftlichem Gerät geschliffene Schieferplatten, deren Holzgriffe so krumm sind, wie der Wald sie eben hergibt. Bildhauerei trifft auf Naturfundstücke, selbst der mit Krähenfedern symbolisch geformte Sturzbomber und die von Korn und Stroh übersäte Kalaschnikow wirken wie surrealistische Dreingaben aus dem LPG-Archiv, und mit der Granate im Holzsetzkasten versöhnt der Titel: „Nature Morte“. Turners Arbeiten wandeln vor und nach der Apokalypse – nur das Jetzt scheinen sie auszusparen. Als „Landscape“ liegt ein quadratisches Stück Granit aus, in dessen ausgestanzter Mitte Heu hervorsprießt. Grabstein oder Buch der Natur? In der Baulücke nebenan hebt ein Bagger gerade eine morsche Gehwegplatte zur Seite. Aus seiner Reifenspur quillt eine tote Katze. Interessante Straße.

Bis 31. 5., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Linienstraße 213, U- Bahnhof Rosenthaler Platz

Nichts als Schaum: Zur Ausstellung „clouds in my coffee...“ bedankt sich die Galerie T&A- Edition bei Metzeler Schaum GmbH, Bad Wildungen-Wega. Die Firma hat Blöcke zur Verfügung gestellt, aus denen Walter Gramming, David Maas und Dirk Sommer Figuren quer durch die Kunstgeschichte geschnitten, gefeilt oder gelegt haben. Neoexpressiv, konzeptartig und als Bausteine der Zeichentheorie. So schlummert bei Maas ein realistisch nachgebildetes Baby mit blank hochgerecktem Hintern auf einem milchigweißen menschhohen Würfel, was mit Freud analerotisch als kindliche Objektwahl zu interpretieren wäre: Das Kind ruht sich auf diesem weißen Unbewußten (ist's die Mutter?) aus. Die Plastik jedenfalls heißt „Baby Porn“, und das Balg ist anthrazitgrau. In einer anderen Ecke steht noch ein Verweis – der Künstler als Hund, erigierend an die Kette gelegt. Im Keller dann ein Video von Walter Gramming, der für „H&S“ zwei nackte junge Leute umkreisend abgefilmt hat, wie sie sich, über einen Rammbock gebeugt, Hammer und Sichel entgegenstrecken. Das Ganze ist zusätzlich in Schaumstoff modelliert und mit Neonfarbe bemalt, was das Schwarzlicht nur mangelhaft hervorhebt. Daneben läßt Gramming abgehackte Beine und einen wulstigen Pop-Revolver „Andy's Wound“ und „Valerie's Gun“ symbolisieren, doch auch dieses Zitat bleibt dunkel. Nur die Arbeit von Dirk Sommer – ausgerollte Wolldecke, leere Weinflasche und Fifties-Pin-up-Postkarten – hält, was der Titel verspricht: „Das Fest ist zu Ende“. Bleibt zu erwähnen, daß Guang Yao Wu dutzendweise Mikrofonschützer aus Schaumgummi in geometrischen Formationen an die Wände geklebt hat. Vielleicht ist der Titel Programm: „Bei Interesse bitte nachfragen“.

Bis 1. 6., Di.–Fr. 15–18 Uhr, Wallstraße 60, Mitte Harald Fricke