Egal, daß das nicht Linke sind

Mit der perfekt vermarkteten Ware „Lebensgefühl“ hat der SC Freiburg eine politikmüde Alternativkultur und das Establishment versöhnt  ■ Aus Freiburg Uli Fuchs

Manchmal stehen Hanno Franke die lustigen Rastalöckchen vor schierer Verzweiflung zu Berge. Die Tinte auf seinem Magisterzeugnis (Politik und Literaturwissenschaft) ist noch nicht richtig trocken, da jongliert der 29jährige schon mit Verträgen über vier- und fünfstellige Beträge und kann sich vor Angeboten kaum noch retten. Die Vertreiber von Kondomen bieten ihm die Zusammenarbeit genauso an wie Komponisten von Rocksongs, Krawattendesigner oder Tüftler, die ein neues CD- ROM-Spiel entwickelt haben. Und alle wollen sie vom Namen des Sport Club Freiburg profitieren, für dessen Vermarktung Franke mitverantwortlich ist.

Aus dem Stapel der Bewerbungen, die sich in der SC-Geschäftsstelle bergeweise sammeln, seit das Team vor zwei Jahren seinen wundersamen sportlichen Höhenflug angetreten hat, hatte Trainer Finke die Schreiben von Franke und dessen Freund Udo Bannwarter herausgefischt. Gefallen hatte ihm ihre „Pfiffigkeit“.

Jetzt sind die Ex-Kommilitonen als einzige Festangestellte des Clubs zuständig für den Bereich Selbstvermarktung, mit dem der SC künftig in Eigenregie jene Millionen umsetzen will, die die Existenz des Vereins sichern. Vizepräsident Helmut Gebhard, ein Versicherungsmann, der die Abteilung nach Feierabend ehrenamtlich leitet („wir sind ein Kollektiv“), ist mit der Arbeit seiner Branchen- Greenhorns, für die bisher eine Werbeagentur zuständig war, sehr zufrieden. Der Verkauf der Bandenwerbung für die kommende Spielzeit ist so gut wie abgeschlossen, die Sponsorenverträge sind unter Dach und Fach, und auch beim Fanartikelverkauf brummt der Laden wie nie zuvor.

Nicht nur die handelsüblichen Accessoires Trikot, Schal oder Mütze finden Zuspruch. Besonders stolz sind die Jung-Vermarkter, daß auch ihre im biederen Gewerbe eher ungewöhnliche T-Shirt-Kollektion reißenden Absatz findet.

Da wird dann das SC-Emblem mit flotten Sprüchen kombiniert wie „It's only soccer, but I like it“. Oder: „Quo vadis SC Freiburg“. Und ganz große Klasse findet Hanno Franke den neuesten Wurf: „Du hast keine Chance, aber nutze sie“.

Der Sponti-Slogan der frühen Siebziger als selbstironisches Bekenntnis zum lokalen Kickverein, mit dem der fleißig seine Kassen füllt – in Freiburg wundert sich darüber niemand mehr. In der ehemaligen Hausbesetzerhochburg mit ihren weit über 20.000 Studierenden siegt unten auf dem Rasen das Gute immer öfter gegen die nicht mehr übermächtigen Fußballgrößen und erzielt das kritische Potential auf den Rängen immerhin noch veritable Erfolge gegen die dumpfen Formen traditionellen Fantums. Fußball im „Erlebnispark Dreisamstadion“ (Cotrainer Sarstedt) hat Happeningcharakter, die überbordende Begeisterung immer auch augenzwinkernde Züge. Was der sozialdemokratische Oberbürgermeister Böhme nach den bewegten Frühachtzigern im Rathaus bräsig auszusitzen versucht hat, ist in der kleinen Kickarena im Osten der Stadt mittlerweile gelungen: die Versöhnung von Alternativkultur und städtischem Establishment.

Gerhard Frey, Mitbetreiber der linksalternativen „Buchhandlung Jos Fritz“, ist selten im Stadion, aber ein durchaus sympathisierender Beobachter des Geschehens. „Man weiß zwar, daß das keine Linken sind“, glaubt er, „aber der Verein mit wenig Geld und wie er den Großen Paroli bietet, weckt bei vielen Assoziationen an die frühere Motivation ihres politischen Engagements: Wir kämpfen für was Besseres, gegen den übermächtigen Staat.“

Auch daß das „etwas andere Fußball-Freiburg“ inzwischen zum renommierten Markenartikel geworden ist, der sich besser rechnet, als es das munter kolportierte Bild von „der Arbeit mit dem kleinen Geld“ (Finke) glauben machen will, stört solche Assoziationen offensichtlich nicht. Im Gegenteil: Selbst für Fanman, Freiburgs erstes Fanzine, ist das Einschaltquotenargument Grund genug, die Hausbesetzerbewegung der Achtziger und das Phänomen Sport Club gleichberechtigt in eine Reihe zu stellen: Schließlich hätten beide, findet das aus dem Szeneumfeld kommende Blatt unschuldig, „die Stadt Freiburg bundesweit in die Schlagzeilen gebracht“. Das weiß, was den SC betrifft, auch Walter Preker, der Pressesprecher des Oberbürgermeisters, zu würdigen. Allmontaglich, wenn ihm die Presseausschnitte mit den neuesten „Positivmeldungen“ über die Hätschelkinder der Stadt vorgelegt werden, zerstreuen sich letzte Zweifel, ob die 13,2 Millionen Mark, die die Kommune in den Stadionausbau investiert, auch gut angelegt sind.

Volker Finke (46), als Trainer engagiert, hat ganze Arbeit geleistet. Denn seit seinem Dienstantritt vor vier Jahren arbeitet der Ex-Juso und ausgebüchste Gymnasiallehrer an mehr als fußballerischen Höhenflügen: Mit manchmal fast schon beängstigendem Kalkül betreibt der Mann, bei dem die Fäden zusammenlaufen, nebenbei einen gewagten Balanceakt: das Profifußballgeschäft mit dem Lebensgefühl einer Stadt kompatibel zu machen, in der die Grünen längst zum Establishment gehören. Seit der Gemeinderatswahl vom vergangenen Jahr sind sie mit 23 Prozent der Stimmen und knapp zwei Punkten Rückstand dem christdemokratischen Spitzenreiter noch dichter auf den Fersen als der SC dem SV Werder.

„Wenn man es geschickt anstellt, könnte man sogar auch dieses etwas Andere hier vermarkten, das muß doch verdammt noch mal möglich sein“, hat er vor zwei Jahren in einem taz-Interview gesagt, „es muß Geld bringen, das ist Macht.“ Mit Machtanteilsscheinen läßt sich der Verein angeblich auch den Auftritt von Finke und zwei Spielern bei der regionalen Sportsendung „Sport im Dritten“ begleichen, die am Sonntag abend direkt aus der Freiburger Mercedes- Niederlassung übertragen wird. Bauchgrimmen? I wo. Fast parallel kürt im „Vorderhaus“, einer linksalternativen Kleinkunstbühne, die Bunte Liga den SC-Kapitän Uwe Spies zu ihrem Ehrenspielführer (siehe untenstehendes Interview). Und Finke hat jenen Spagat zugesagt, in dessen Ausführung er mittlerweile bestens geübt ist: Wenn die Sendung bei Mercedes zu Ende ist, folgt der schnelle Wechsel ins „Vorderhaus“.

Falls heute mittag im Heimspiel gegen Borussia Dortmund kein Sieg herausspringen sollte, wird die Stimmung dort dennoch bestens sein, falls doch, eben noch besser. Dann wird sich auch das Geschäftsaufkommen in Hanno Frankes Büro noch einmal steigern. Ist kein Problem: Der hat für den Fall der Fälle schon längst ein T-Shirt in Vorbereitung. Aufschrift: „Wir wollen in die Tchampignons-League“.