Eine Uni als Brücke über die Oder

■ An der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder kommt jeder dritte Student von der anderen Seite des Flusses / "Das ist die größte organisierte Form des Auslandsstudiums, die Polen je hatte"

Auch in Frankfurt hat der Frühling Einzug gehalten. In den Parks der Stadt, auf den saftigen Wiesen der Oderauen, überall sprießt frisches Maiengrün. Auch sonst geht es in der Grenzstadt aufwärts. Ein neues Bürohaus nennt sich großspurig „Trade Center am Zehmeplatz“. Der Leuchtreklame von C&A am Geschäftszentrum „Oderturm“ gleich gegenüber findet sich ein Schriftzug in weniger aufdringlichen Lettern. „Universitas Viadrina“ steht am Giebel des Prachtbaus, der früher als Bezirksverwaltung und Finanzamt diente. Mit dem lateinischen Namen nimmt die 1991 gegründete Europa-Universität die Tradition der alten Viadrina wieder auf, die Kurfürst Joachim I. 1506 als brandenburgische Landesuniversität gegründet hatte. Die Eröffnung der Berliner Universität machte 1811 dem Lehrbetrieb ein Ende. Frankfurt wurde intellektuelle Provinz.

Mit Internationalität und Interdisziplinarität will die Uni aus diesem Schatten wieder heraustreten. „Die Viadrina versprach, eine besondere Universität zu werden“, erklärt Rektor Hans N. Weiler, warum er von Stanford an die Oder wechselte. Während die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit rund einem Drittel polnischer Studierender gelungen sei, gestalte sich die Integration der verschiedenen Wissenschaften „sehr viel schwieriger“.

Internationalität und Interdisziplinarität

Der neuartige Studiengang Kulturwissenschaften soll die Trennung von Geistes- und Sozialwissenschaften überwinden. Im Grundstudium müssen die angehenden Kulturwissenschaftler Vorlesungen und Seminare in Philosophie, Politologie, Soziologie, Geschichte, Literatur- und Sprachwissenschaft besuchen. Im Hauptstudium verschwinden dann die Einzeldisziplinen und werden durch thematische Schwerpunkte ersetzt. Auch in der Wirtschaft hätten Absolventen mit derart breiter Ausbildung bessere Berufschancen als andere Geisteswissenschaftler, hofft Weiler.

„Man kommt sich hier schon wie an einer richtigen Grenze vor“, beschreibt er die alltäglichen Probleme der deutsch-polnischen Kooperation, „aber das Schengener Abkommen macht uns nicht die Schwierigkeiten, die ich befürchtet hatte“. Mit dem Grenzschutz sei vereinbart worden, daß die Studierenden, die jeden Morgen aus den Wohnheimen in Slubice über die Oder zur Vorlesung kommen, nur noch stichprobenweise kontrolliert werden. Schwerer zu überwinden ist das Wohlstandsgefälle. 95 Prozent der polnischen Studierenden erhalten eine „Überbrückungshilfe“ von 300 Mark im Monat, die das Land Brandenburg bezahlt. Wenn bei der angepeilten Verdreifachung der Studierendenzahlen auf 4.500 der polnische Anteil gehalten werden soll, sieht Weiler aber auch den Bund in der finanziellen Pflicht.

„Das ist die größte organisierte Form des Auslandsstudiums, die Polen je gehabt hat“, schwärmte der Germanist Waldemar Pfeiffer, der von der Universität Poznan an die Viadrina wechselte. Doch schlug er in seiner Antrittsvorlesung auch kritische Töne an. Für die polnischen Studenten sei in Frankfurt „die Stadtluft nicht ganz frei“. Vorurteile und Stereotypen seien in der deutschen Bevölkerung stark verbreitet. Er verwies auf die Spiegel-Umfrage, nach der sich 47 Prozent der Deutschen anderen Völkern „überlegen“ fühlten, davon 84 Prozent den Polen.

„Die Stadtluft in Frankfurt ist nicht ganz frei“

Aber auch der Kulturdialog an der Uni ist nicht gleichberechtigt, weil als „Begegnungssprache“ das Deutsche dient. „Brücken zwischen Ländern baut man am besten von beiden Seiten“, meint Pfeiffer. Deshalb soll diesem Mangel das geplante Collegium Polonicum in Slubice abhelfen, dessen Aufbau Pfeiffer leitet. Von der Universität Poznan und der Viadrina gemeinsam getragen, soll es sich vor allem der polnischen Sprache und Kultur widmen. Grund genug also für den polnischen Botschafter Janusz Reiter, zum 50. Jahrestag des Kriegsendes auch in Frankfurt vorbeizuschauen. Nur durch eine Einbeziehung Polens in EU und Nato könne das gelingen, was zwischen Deutschland und Frankreich gelungen sei, sagt er den Studierenden. „Sie sind die Elite, die diese Vision glaubhaft machen muß.“ Die Fragen der Studierenden sind konkreter. Sie fragen beispielsweise nach dem Abkommen, das die gegenseitige Anerkennung akademischer Abschlüsse regelt.

„Ich komme aus einer Region, in der ein Austausch nicht stattfindet“, hatte ein Viadrina-Student in einer Diskussion zum 8. Mai über das deutsch-polnische Verhältnis gesagt. Auf die besorgte Nachfrage Reiters bestätigen die Studierenden den Eindruck wenn nicht für die Uni, so doch für das übrige Frankfurt. Deutsche und polnische Studierende sollten nicht nur deutsch sprechen, rät ihnen Reiter. Auch Weiler redet den deutschen Studierenden ins Gewissen, sie hätten „mindestens ebenso die Pflicht, aufeinander zuzugehen. Das ist der Preis, den Sie dafür zahlen, an dieser ungewöhnlichen Universität studieren zu können.“

Die Realität ist davon noch weit entfernt. An der ganzen Uni sprächen nur etwa zehn seiner deutschen Kommilitonen fließend polnisch, schätzt Pawel, Jurastudent aus Wroclaw. Umgekehrt garantieren schon die extrem hohen Anforderungen bei der Bewerbung, daß die meisten Polen bereits mit hervorragenden Deutschkenntnissen nach Frankfurt kommen. „Man muß eigentlich Germanistik studiert haben, um die Sprachprüfung zu bestehen“, meint Pawel, der bereits ein Germanistikstudium hinter sich hat.

Katja kam aus Nordrhein-Westfalen an die Oder, um Kulturwissenschaft zu studieren, weil sie sich Internationalität und Interdisziplinarität versprach. Der erste Wunsch hat sich durch den intensiven Kontakt mit polnischen Studenten erfüllt. Es gebe aber noch wenige Austauschprogramme mit Partneruniversitäten, klagt sie. Die Zusammenarbeit mit Juristen und Wirtschaftswissenschaftlern sei unzureichend. „Die Kulturwissenschaften sollten das Herzstück der Uni sein, jetzt werden sie zum Stiefkind.“ rab