Weil ich Spanier bin, nur weil ich Spanier bin

Warum hat José María Aznar etwas geschafft, was vor wenigen Jahren noch kaum einer vorausgesagt hätte – der nach der Franco-Diktatur diskreditierten spanischen Rechten zu einer neuen Blüte zu verhelfen?  ■ Aus Madrid Reiner Wandler

„Gehen Sie, gehen Sie“, wiederholt der Führer der spanischen konservativen Oppositionspartei Partido Popular, José María Aznar wie eine Gebetsmühle im Parlament. Mit vor dem Spiegel einstudierter Mimik bewegt er die Hände, als wollte er eine kostbare Vase versetzen. Spaniens Regierungschef Felipe González jedoch bleibt unbeweglich.

Nach ihrem Sieg bei den Europawahlen im vergangenen Jahr will die PP den Sozialisten jetzt bei den Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai den endgültigen Todesstoß versetzen. Und wenn es auch dann noch nicht zu den von Aznar erhofften vorgezogenen Neuwahlen kommt, wird er spätestens 1997 in den Regierungspalast Moncloa einziehen, da ist er sich sicher.

Der 41jährige José María Aznar gilt als die geborene Mittelmäßigkeit. Im Enkel des franquistischen Botschafters in Marokko sehen seine ehemaligen Klassenkameraden einen „normalen Schüler“ und einen „weder schlechten noch ein brillanten Studenten“, der sich aus den demokratischen Mobilisierungen gegen die zu Ende gehende vierzigjährige Franco-Diktatur heraushielt. Um so überraschender kam für viele seine steile politische Karriere ab Ende der siebziger Jahre.

1979 nahm der Weinfreund an seinem damaligen Wohnort Logroño erste Kontakte mit der rechten Alianza Popular des ehemaligen Innenministers der Diktatur Manuel Fraga auf. Der Partei, ein Tummelplatz von Alt-Franquisten, fehlte der Nachwuchs. Aznar wußte dies zu nutzen: Nach nicht einmal einem Jahr wurde er zum regionalen Generalsekretär gewählt. Nach seiner Rückkehr nach Madrid zog er 1982 ins Parlament ein, wo er erstmals auf Felipe González stieß. Dieser war gerade zum neuen spanischen Regierungschef gewählt worden. Die transición, der Übergang von der Diktatur zur Demokratie hatte seinen Abschluß gefunden.

Damals hatte die sozialistische PSOE eine überwältigende absolute Mehrheit; mit ihren 202 Sitzen überflügelte sie die konservative AP (106 Sitze) bei weitem. Auch bei den Wahlen von 1986 sollte sich dieses Bild nicht verändern.

1988, als sich der glücklose Parteipräsident Fraga auf sein Altenteil in Form der Regionalregierung von Galizien zurückzog, beerbte ihn Kronprinz Aznar. Der Traum vom Einzug in den Regierungspalast Moncloa begann. Bei den letzten Parlamentswahlen im Juni 1993 fehlten der in „Partido Popular“ (PP) umbenannten AP nur noch 20 Sitze. Mit der von ihm propagierten „Öffnung zur Mitte hin“ zog Aznar Wählerschichten an, die von den Korruptionsskandalen der Sozialisten enttäuscht waren.

Unter all seinem Anti-Korruptions-Getöse lassen sich die Leichen in Aznars eigenem Keller allzu leicht verbergen. Vor einem Parlamentsausschuß zur Parteienfinanzierung mußte sich der ehemalige Kassenführer Angel Sanchis die Frage gefallen lassen, warum er im Wahlkampf im Dezember 1989 in Galizien 6 Millionen Mark ausgab – und vor dem Rechnungsprüfungsamt nur 3 Millionen angab. Er zog sich hinter die Schutzbehauptung „Spenden von Privatleuten“ zurück; die Parteibücher wiesen allerdings nur 400.000 Mark Spenden aus. Sanchis ist weiterhin als Berater des PP-Vorstandes tätig ist, obwohl man immer wieder betont hatte, daß alle in diesem Skandal Verwickelten ihrer Funktionen enthoben seien.

Das spanische Volk aus dem Alptraum erwecken

Aznar stapelt gerne hoch. „Im Interesse von Spanien“, sagt er, strebe er nach „einer zweiten transición“. Der Vergleich scheint ihm zu gefallen. „Erstmals ist das spanische Volk aus einem 12jährigen Alptraum erwacht,“ lautete sein Kommentar, als seine Partei bei den Europawahlen vom Juni 1994 die Sozialisten überholte. Seitdem gefällt sich Aznar in der Pose des wahren, von den Sozialisten ums Amt geprellten Präsidenten.

So geizt er nicht mit Rezepten für sein Land. Abwechselnd wettert er gegen die Abtreibung, die Anerkennung homosexueller Paare und die Wiedereingliederung von ETA-Gefangenen nach der Verbüßung einer Zwei-Drittel Strafe. Die staatlichen Fernsehprogramme sollen privatisiert werden. Gegen Drogenkonsum hilft „der Glaube“ und die Arbeitslosigkeit will er mit Kürzungen des Arbeitslosengeldes bekämpfen: Wer arbeitslos ist, soll zukünftig nicht mehr die Möglichkeit haben, angebotene Arbeitsplätze oder Weiterbildungsmaßnahmen abzulehnen. Dazu will Aznar den Unternehmern durch eine 20prozentige Steuersenkung Vorteile verschaffen; den Höchststeuersatz für Besserverdienende will er von 56 auf 35 Prozent senken. Auch de „kleine Mann“ soll nicht ganz leer ausgehen: 5 Prozent weniger Kranken- und Arbeitslosenversicherung heißt das Versprechen. Ohne, das versteht sich von selbst, die Leistungen zu senken.

Wessen Vaters Kind diese Politik ist, machen verschiedene Parteigrößen immer wieder klar. Zuletzt lobte Mercedes de la Merced, Nummer drei auf der Europawahlliste der PP, die Sozialpolitik der Franco-Diktatur. In Antwort auf die Frage nach ihrer Meinung zur Verfolgung Oppositioneller in den vierzig dunklen Jahren berief sie sich, nach bekannten Vorbildern, auf die Gnade der späten Geburt: Bei Francos Tod 1975 sei sie noch ein Kind gewesen. Trotz heftiger Proteste trat sie nicht von der Europaliste zurück und sitzt heute in Straßburg. Ein anderer Anhänger franquistischer Sozialpolitik ist Fernando Suárez, auch er Europaabgeordneter: Der einstige Franco-Minister hält Vorträge zum Sozialthema auf Gedenkveranstaltungen zu Ehren des Diktators.

Die zwei fügen sich nahtlos in ein Gemisch aller rechten Schattierungen ein. Von ehemaligen Liberalen aus den Reihen der zur Bedeutungslosigkeit verkommen christdemokratischen CDS über Mitglieder des katholischen Opus Dei bis hin zu ehemaligen Falangisten tummelt sich alles in der „Partei der Mitte“. Aznar sieht das ganz anders: „Wir sind eine Partei aus Liberalen und Christdemokraten, vielleicht hat sich auch der ein oder andere verkappter Sozialdemokrat eingeschlichen“, sorgt er sich.

Aznar ist felsenfest davon überzeugt, daß sein Erzfeind González Spaniens Interessen stückchenweise an „die Bösen“ aus dem Norden verkauft. Gemeint ist nicht die EU, sondern die katalanische Regierungspartei CiU mit Sitz in Barcelona. Deren Präsident Jordi Pujol läßt sich die Unterstützung der Minderheitsregierung González in Madrid teuer bezahlen – Aznar will damit Schluß machen: Keine weiteren Sonderrechte für die baskischen und katalanischen Autonomien, heißt sein Programm, vor allem im Bildungsbereich. Die PP unterstützt immer wieder Eltern, die das Recht auf eine spanischsprachige Schulbildung ihrer Kinder einfordern und gegen das „Gesetz zur Normalisierung der katalanischen Sprache“ agitieren.

Den katalonische Ministerpräsident Jordi Pujol beängstigen dies. Mit seinem Katalanen- und Baskenhaß sei Aznar fähig, das Land abermals wie Ende der dreißiger Jahre in eine schwere zivile Auseinandersetzung zu reisen, warnt er. Sein baskischer Amtskollege Ardanza wird noch deutlicher: Aznar ist für ihn nichts weiter als ein Rechtsextremer.

Den PP-Vorsitzenden bestärken solcherlei Töne nur. Als er einmal in der Universität Barcelona von den Studenten durch Pfeifen und Parolen am Reden gehindert wurde, hatte er eine schnelle und simple Erklärung parat: „Weil ich Spanier bin, nur weil ich Spanier bin“, passiere ihm dies. Vielvölkerstaat versus Zentralismus – eine alte Auseinandersetzung auf der iberischen Halbinsel, die Spanien gerade vor den Regionalwahlen zerreißen könnte.