■ Die neue Regierung Frankreichs:
: Kabinett der Mehrheitsbefriedung

Die Opposition ist wirklich nicht das Problem der neuen Machthaber in Paris. Präsident Jacques Chirac und der von ihm ernannte Premierminister Alain Juppé verfügen über die größte Mehrheit, die eine Regierung der Fünften Republik je hatte. Sie ist absolut: Von der Nationalversammlung über den Senat und die Regionen bis hinab in die Gemeinden ist alles fest in konservativer Hand. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger, dem Sozialisten François Mitterrand, der zweimal mit konservativen Regierungen kohabitieren mußte, hat Chirac weit und breit keinen Gegner, der seine Projekte verhindern könnte.

Das eigentliche Problem von Chirac ist die Mehrheit selbst, die ihm an die Spitze des Staates verholfen hat. Sie ist vielfach gespalten und zerissen: zwischen Wirtschaftsliberalen und Befürwortern staatlicher Eingriffe, zwischen Föderalisten und Nationalisten, zwischen Atlantikern und Franko-Franzosen und – nicht zuletzt – zwischen den konkurrierenden Karriereplänen und Eitelkeiten einzelner Männer in ihrem Kreis. Der Konkurrenzkampf zwischen den beiden neogaullistischen Präsidentschaftskandidaten Chirac und Edouard Balladur, der die Konservativen beinahe um ihren Sieg gebracht hätte, illustriert, wie groß die Sprengkraft ist.

Die erste Regierung Juppé ist der Versuch, die Zentrifugalkräfte innerhalb der konservativen Mehrheit zu binden und zugleich die Wahlversprechungen von Chirac einzulösen. Das dabei entstandene Kabinett ist tatsächlich jünger als alle vorausgegangenen – wenn auch mit seinem Durchschnittsalter von 48 Jahren keineswegs jugendlich –, es ist weiblicher als alle vorausgegangenen – wenngleich sich die erste der zwölf Frauen erst auf dem 14. Platz in der Kabinettshierarchie findet und die meisten nur Staatssekretärinnen mit sozialen Aufgaben wurden –, und es ist entbürokratisiert – wenngleich die Zahl der Minister entgegen Chiracs Vorhaben nicht entscheidend reduziert ist. Vor allem aber sind so ziemlich alle Strömungen der konservativen Mehrheit repräsentiert – von den Neogaullisten bis hin zu den Liberalen.

Große Namen und Ideen finden sich im Kabinett von Juppé nicht. Die neue Regierung ist ein Kompromiß – voller personeller Zugeständnisse an die unterlegenen Balladurianer und an die Anhänger des einstigen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing, der sich, nach rasch frustrierten Rückkehr-Ambitionen, hinter Chirac gestellt hatte.

Alle 42 Minister und Staatssekretäre vertreten bislang gleichrangig die beiden Politikziele Kampf gegen die Arbeitslosigkeit – von Chirac versprochen – und Einhaltung der europäischen Verpflichtungen – wofür Juppé steht. Damit ist ein spannender Hindernislauf vorprogrammiert, denn die Europäische Union verlangt von Frankreich die Reduzierung des Haushaltsdefizits, das geplante Beschäftigungsprogramm aber wird die staatlichen Ausgaben zwangsläufig erhöhen. Formal ist der Spagat mit der Kabinettsbildung gelungen – aber erst die Praxis weist den Künstler aus. Dorothea Hahn, Paris