■ Ab und zu eine Dosis Schrecken für uns Voyeure
: Der Horror-Virus Ebola geht um

Ein Virus verbreitet Angst und Schrecken. Die „Killer-Viren“ beherrschen die Schlagzeilen. Mehr noch als die Betroffenen in Zaire scheinen wir, weitab vom Geschehen, von den Ebola-Viren bedroht zu sein. Es handele sich – hört man die Berichte der medizinischen Helfer in Zaire – bei Ebola um eine der übelsten Infektionskrankheiten überhaupt. 77 Menschen sind inzwischen an der Infektionskrankheit gestorben. Ein Gegenmittel, mit dem den Infizierten geholfen werden könnte, gibt es nicht. Die Angst sitzt tief, daß das Ebola-Virus auch nach Europa eingeschleppt werden könnte. Trotz angestrengter Haushaltslage sah Forschungsminister Rüttgers sich deshalb genötigt, sofort zu handeln und der Bedrohung etwas entgegenzusetzen. Ein halbe Million Mark für ein Seuchenfrühwarnsystem stellte er zur Verfügung. Aber warum wird diese Einrichtung in Berlin installiert und nicht in denjenigen Weltregionen, wo die Menschen seit Jahrzehnten zu Opfern todbringender Seuchen werden?

1976, als das Ebola-Virus fast zeitgleich im Norden von Zaire und im südlichen Sudan zum ersten Mal in Erscheinung trat und die Mediziner noch nichts von dem bisher unbekannten Erreger kannten außer seiner grausamen, tödlichen Wirkung, war die Angst berechtigt, eine neue Geißel könnte die Menschheit heimsuchen. Verständlich auch der enorme Aufwand, der betrieben wurde, um eventuell infizierte Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation WHO ohne Gefahr für die Mitmenschen zur weiteren medizinischen Behandlung nach Europa oder in die USA bringen zu können. Eine tonnenschwere Raketenkapsel der Nasa wurde dafür extra nach Frankfurt geflogen. Eine weitere Apollo-Kapsel, berichtet die Wissenschaftsautorin Laurie Garrett in ihrem Bestseller „The coming Plague“, wartete einsatzbereit in Houston, um Ebola- Infizierte, abgeschirmt von der Umwelt, um die halbe Erdkugel zu transportieren.

Doch bereits damals war sehr schnell klar, daß man sich mit einfachen Mitteln schützen konnte. Eine Infektionsgefahr bestand nur, wenn man mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten eines Erkrankten in Berührung kam. Eine Luftübertragung der Ebola-Viren erfolgte nicht. Die Gefahr einer weltweiten Epidemie, wie wir sie zum Beispiel fast regelmäßig von der Grippe kennen, besteht nicht. Für Angst und Panik, zumindest in unseren Breiten, besteht kein Anlaß. „Szenarien, wie sie derzeit der Film ,Outbreak‘ zeigt, sind äußerst unwahrscheinlich“, heißt es vernünftigerweise bei den obersten Gesundheitsschützern in der Bundesrepublik. Von dieser Meinung, so scheint es, haben sich aber viele nicht anstecken lassen wollen.

Die Menschen in den von Ebola-Viren heimgesuchten Städten erkannten sehr schnell, wo sie am meisten gefährdet waren: Die Orte, die sie in der Hoffnung auf medizinische Hilfe aufsuchten, wurden für viele von ihnen zur tödlichen Falle. Bereits 1976 steckten sich die meisten Ebola-Opfer in den Krankenhäusern an. Das war im zairischen Yambuku der Fall genauso wie im sudanesischen Maridi. Sowohl in der katholischen Missionsstation Yambuku als auch im Maridi-Hospital standen zur Behandlung der Patienten nur wenige Spritzen zur Verfügung. Mit immer wieder derselben Nadel stießen die Schwestern durch die Haut in die Körper der Patienten, Hunderte Male täglich, ohne auch nur zu ahnen, daß sie dadurch zu Todesengeln wurden. Rund 500 Tote waren seinerzeit zu beklagen, darunter auch die behandelnden Schwestern. Verständlich, daß die Menschen aus den Krankenhäusern flohen und so erst recht zur Ausbreitung des Ebola-Virus beitrugen.

Das war vor neun Jahren so, und so ist es auch diesmal wieder. Nichts hat sich seitdem geändert. Eine saubere Spritze, eine saubere Nadel – bei uns für jeden Arzt, für jeden Patienten eine Selbstverständlichkeit, nicht jedoch in Zaire und vielen anderen Ländern, die unter der Last von Infektionskrankheiten leiden. Ein Zehn- Pfennig-Artikel entscheidet dort über Tod und Leben. Solange nicht ein Mindestmaß an medizinischer Versorgung sichergestellt ist, wird es immer wieder zu Ebola-Ausbrüchen kommen.

Das wird sich auch nicht ändern, wenn die seit Jahren währende Jagd der Forscher nach dem Ursprung des Virus, dem Wirtstier, erfolgreich sein sollte. Ursache und Verstärker der Infektionskrankheiten lassen sich nicht unterm Elektronenmikroskop ausmachen. Sie sind mit den Händen greifbar: wirtschaftliche und soziale Not. Jährlich werden in Zaire weniger als 1,50 Mark pro Kopf der Bevölkerung für die Gesundheitsversorgung ausgegeben. Im Gegensatz dazu lassen wir Deutschen uns unsere Gesundheit jedes Jahr rund 430 Milliarden Mark kosten, pro Kopf macht das über 5.000 Mark. Wann endlich wird aus der simplen Tatsache, daß medizinische Hilfe für die Seuchenregionen nicht nur ein Akt der Solidarität ist, sondern die Eindämmung von Infektionskrankheiten in Zaire, im Sudan oder anderen Dritte-Welt- Ländern in Asien auch uns zugute kommt, die Konsequenz gezogen?

Es wäre ein leichtes – vorausgesetzt, der Wille ist da –, einen Großteil der Infektionen zu verhindern. In diesem Sinne wäre auch Rüttgers' Geld für ein Seuchenfrühwarnsystem in einer dieser Regionen gut angelegt. Nicht die neuen Seuchen, von denen so viel die Rede ist, sind das Problem. Es sind vor allem die alten Seuchen wie zum Beispiel Malaria, Tuberkulose, Masern, Schlafkrankheit oder Kinderlähmung. An diesen Krankheiten sterben täglich weitaus mehr Menschen als an Ebola. 1,2 Millionen Kinder starben 1993 an Masern, obwohl es einen Impfschutz dagegen gibt. Drei Millionen Tuberkulose-Tote im Jahr weist der neueste Bericht der WHO aus, Woche für Woche rund 60.000 Opfer. Dazu kommen zehn Millionen Menschen jährlich, die lebenslang an den Folgen einer Kinderlähmung zu leiden haben. Warum nur das plötzlich so gewaltige Interesse an dem neuen Virus?

In den ersten Meldungen aus Zaire in der vergangenen Woche war zuerst von 170 Toten die Rede. Einen Tag später korrigierte die Weltgesundheitsorganisation die Zahl auf 27 Ebola-Opfer. Die Diskrepanz in der Zahlenangabe führte die WHO darauf zurück, daß seit einiger Zeit dort eine andere Durchfallkrankheit grassiert, der „rote Durchfall“, eine Shigella- Infektion, an der zahlreiche Menschen sterben. Für die Schlagzeilen waren jedoch nur die Ebola-Viren interessant.

Mit der Angst vor dem Unbekannten läßt sich eben ein gutes Geschäft machen: Die Auflage steigt, und die Einschaltquoten gehen in die Höhe. Die Zuschauer lieben zur Abwechslung auch mal gruselige Schauspiele, besonders wenn sie sie aus sicherer Distanz genießen dürfen. Reality-TV für die Voyeure des Todes. Dafür lohnt es sich dann auch für das Kamerateam, allen Warnungen zum Trotz die Quarantänemaßnahmen zu ignorieren und die Absperrungen der Sterbeklinik in Kikwit zu überwinden. Das Grauen soll möglichst eindrucksvoll ins Wohnzimmer flimmern. Wolfgang Löhr