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: Erbfeind Fernsehen

■ Schöne frische Munition: „To Die For“ von Gus van Sant

Nach dem Festival, erzählte der Friseur très charmant, sei Cannes doch eher etwas für ältere Leute, die es sich erlauben könnten, aus Paris zu fliehen, um hier zu sterben. Die Filmfestspiele waren bislang ein bißchen so, daß man diesen floridahaften Ennui schon währenddessen spürt; nicht unbedingt als Langeweile, eher als Gelassenheit: Da müßt ihr schon was anderes bieten, um uns hier aufzuschrecken. Vielleicht gelingt das Larry Clark und seinen „Kids“, warten wir den Dienstag ab.

Nach all den etwas ungelenken Attacken, die das Kino in letzter Zeit gegen den Erbfeind Fernsehen geritten hat, wirkte Gus van Sants neuer, aus unerklärlichen Gründen außerhalb des Wettbewerbs laufender Film „To Die For“ wie schöne frische Munition. Sie will ihr Ziel allerdings gar nicht erreichen, weil vor allem das, was die lokalen Kleinststationen machen, für van Sant längst zu wundervollem Camp geworden ist. Der Ort heißt Little Hope, New Haven. Erzählt werden soll die Geschichte einer gewissen blonden Ambition namens Suzanne Stone, die schon ein vom Fernsehen produziertes Ungeheuer war, als alle sie noch für dieses adrette Kleinstadtmädchen hielten. „To Die For“ eröffnet entsprechend mit einem fotogenen Gemisch aus Tabloid-Schlagzeilen wie „Suzanne Stone, the Temptress“, Interviews und Talkshows mit den Menschen, die Suzanne kannten, und dem Selbstzeugnis der Temptress. Wer das Material eigentlich gedreht hat, bleibt „unklar“, aber es ist eben, wie Suzanne immer sagte: Erst im Fernsehen bemüht man sich, ein guter Mensch zu sein. Suzanne aus Little Hope war entschlossen, mehr Fernsehzeit zu bekommen, als Andy Warhol ihr zubilligen wollte. Sie heiratet in eine italo-amerikanische Familie ein (Matt Dillon diesmal als Pizzacowboy) und überfällt nach stattgehabtem Honeymoon die lokale Sendestation mit allerhand Ideen („Wissen Sie, woran Gorbatschow gescheitert ist? Er hätte gleich zu Anfang dieses häßliche rote Ding wegmachen sollen.“). Sehr schnell macht sie den umwerfendsten, vitaminhaltigsten Wetterbericht, den man sich vorstellen kann. Sie greift sich ein paar hoffnungslose Teenager (wunderbar: Joaquin Phoenix; offenbar ist diese Familie Phoenix ein unendlicher Quell solcher Larry-Clark-hafter müder Engel) und schweißt diese Teenangels in ihren Masterplan ein. Wenn Phoenix dann später in einem Interview aus dem Gefängnis sagt: „Ich fühlte mich wie einer von diesen Toten, die wiederkommen und nach frischem Menschenfleisch suchen“, deutet das ungefähr an, was hier Fernsehmonstern zugetraut wird, und das zu Recht... Wie unter einer Eisschicht wirken die Bilder, glasklar, kalt, Schlag auf Schlag. Nicole Kidman, Frau von Tom Cruise und wie er Scientology- Mitglied, sieht hier aus wie eine Mischung aus Claudia Schiffer und Rachengold-Reklame und spielt mit einer derartig hochwitzigen Doppelbödigkeit, daß man sich einen Hut kaufen möchte, um ihn zu ziehen (schon wieder einkaufen...).

Der neue Kultusminister mit dem schönen Namen Douste- Blazy war da. Ob er auch verliebt ist? Er hat jedenfalls entsprechend dusselig-freundlich auf die Frage reagiert, wie denn der Wechsel vom Gesundheitsministerium in sein jetziges Fach so sei: „Oh, wissen Sie, so groß ist der Unterschied nicht. Beides hat ja mit dem Leben der Menschen zu tun.“ À la votre, Douste-Blazy! Mariam Niroumand