■ Niedersachsens CDU-Vorsitzender Christian Wulff über die Nähe zu den Grünen und die Aussichten der CDU
: Schwarz-grüne Koalition würde von unseren Wählern nicht verstanden

Seit den Wahlergebnissen in Bremen und Nordrhein-Westfalen sieht sich die CDU mit einem strategischen Dilemma konfrontiert. Die SPD entdeckt für die nächste Bundestagswahl die Machtperspektive Rot-Grün, während der CDU ihr bisheriger Koalitionspartner FDP abhanden zu kommen droht. Innerhalb der CDU herrscht Uneinigkeit, wie die Partei auf dieses Dilemma reagieren soll. Wulff gehört neben Geißler zu denjenigen im Bundesvorstand, die für eine stärkere Öffnung zu den Grünen plädieren.

taz: Herr Wulff, die CDU hat doch kaum noch Anlaß, sich über das Wahlergebnis vom letzten Sonntag zu freuen. Der Koalitionspartner bricht weg, und die SPD entdeckt, notgedrungen, die rot-grüne Perspektive.

Wulff: Ich habe immer die Meinung vertreten, daß die ganzen letzten Landtagswahlergebnisse nicht ohne weiteres Grund zur Freude für die CDU bieten. Es bestand bei keinem Ergebnis Anlaß zur Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit. Die CDU muß an sich selbst arbeiten, um stärker zu werden, um Sympathie auszustrahlen und Akzeptanz zu finden. Es gelingt uns nicht, genügend Nichtwähler an uns zu binden, es gelingt uns schon gar nicht, beim generativen Wechsel der Wählerschaft ausreichend viele der jüngeren und mittleren Generation an uns zu binden. Deshalb war bei mir nur verhaltene Freude.

Setzen Sie noch auf die FDP als Koalitionspartner?

Die FDP ist in den Bundestag gewählt worden, obwohl sie bereits im Herbst für tot erklärt wurde. Das gibt Grund zur Annahme, daß sie auch 1998 einziehen wird. Sie wird sich allerdings personell erneuern und programmatisch ändern müssen.

Der Bundesgeschäftsführer der SPD, Günter Verheugen, erkennt für seine Partei schon klar die Machtperspektive, weil sich die Bundesrepublik wieder zu einem Dreiparteiensystem entwickelt. Heißt die künftige Alternative Schwarz versus Rot-Grün?

Verheugen ist durch eine alte Liebesbeziehung schwer belastet. Wer mal Generalsekretär der FDP war, sollte nicht mit Häme über das Schicksal dieser Partei schwadronieren. Diese von ihm prognostizierte Enwicklung ist in meinen Augen nicht zwangsläufig, wenn man bedenkt, daß vor einem Jahr noch von einem möglichen Fünf- oder gar Sechsparteiensystem gesprochen wurde.

Trotzdem macht man sich auch in Ihrer Partei Gedanken über die Zeit ohne die FDP. Der Kanzler setzt darauf, daß die Union alleine eine Mehrheit gewinnen kann.

Das Ziel, alleine zu regieren, muß jeder haben. Allerdings ist dieses in manchen Ländern, wie in Sachsen oder Bayern, realisierbar, in manchen Ländern ist das unrealistisch. Wenn die FDP in diese Parlamente nicht wieder reinkommt, ist eine Mehrheitsbildung jenseits der SPD schwierig. Das muß man klar zur Kenntnis nehmen. Denn die Debatte um Schwarz-Grün bietet zuwenig Substantielles, weil die trennenden Elemente das Gemeinsame bei weitem übersteigen. Es gibt allerdings ein enttabuisiertes Gesprächsklima zwischen CDU und Grünen ...

Gibt es auch Gemeinsamkeiten in der Sache?

Gemeinsamkeiten liegen in dem Versuch der Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Auch die Grünen sehen heute die Notwendigkeit, den Schutz der Natur mit der Bereitstellung von Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Belangen zu verbinden. Es gibt auch Gemeinsamkeiten im Staatsverständnis: Die SPD will immer die großen Lösungen von oben, während CDU und Grüne die Lösungen von unten, von der Basis, dezentral und subsidiär befürworten. Da gibt es Mentalitätsnähen. Im übrigen kommen viele Grünen- Wähler aus dem CDU-Milieu. Es gibt viele Annäherungen im Bereich der kirchlichen Jugendarbeit, auch dort sind Grüne tätig. Es gibt Schnittmengen zwischen den Bürgerrechtlern der ehemaligen DDR und Politikern aus der Jungen Union, die gegen die Menschenrechtsverletzungen in der DDR protestiert haben.

Es ist nicht nur die Programmatik, die die Attraktivität der Grünen begründet?

Der Konsens der Grünen liegt nicht so sehr in einer Programmatik, es ist mehr der Konsens eines Lebensgefühls, eines Gefühls, daß Umwelt, Nachwelt und Dritte Welt uns mehr beschäftigen müssen. Allerdings ist die Wählerschaft der Grünen auch wohlstandschauvinistisch. Die Grünen sind weniger Partei im klassischen Sinne als vielmehr eine Art Holding, die durchaus disparate Interessen unter ihrem Dach vereint. Bei eine Gesellschaft, deren Strukturen zunehmend heterogener werden, ist dieses Modell einer Holding natürlich ein interessanter Gedanke. Vielleicht kann sich die übrige Parteienlandschaft von diesem Holding-Modell ein wenig abschauen.

Auch ein interessanter Gedanke für die CDU?

Das wäre auch ein Gewinn für die CDU, etwa in einer abweichenden Meinung den Gewinn zu sehen und nicht den Schaden mangelnder Geschlossenheit. Während die Grünen jeden internen Streit vom Wähler honoriert bekommen, laufen wir dem Gefühl nach, daß wir am erfolgreichsten sind, wenn wir uns geschlossen zeigen. Vielleicht sollten wir auch mehr Kontroverse wollen, weil in Zeiten, in denen sich soviel ändert, auch der einzelne gegenüber der Mehrheit durchaus recht haben kann.

Also weg von den verordneten Parteitagsritualen?

Man muß sich von diesen Leitbildern lösen.

Ihr Parteifreund Heiner Geißler ist bestrebt, die Schnittmenge mit den Grünen zu vergrößern.

Geißler hält heute schwarz-grüne Koalitionen für diskutierbar, dafür sehe ich keine ausreichende Grundlage. Allerdings teile ich seine Aufforderung an die CDU, offener, toleranter für Neues zu sein und nicht so ängstlich auf neue Anforderungen zu reagieren. Ich bin mir mit Geißler einig, daß es bei einer Auflockerung des Parteiensystems zu einer Veränderung der CDU kommen muß. Sie muß offener und ökologischer werden, will sie nicht Wählerströme an sich vorbeilaufen lassen.

Gerade diesen Tendenzen in der CDU hat Helmut Kohl eine klare Absage erteilt.

Ich teile ja die Einschätzung des Bundeskanzlers, daß Schwarz- Grün zur Zeit keine Grundlage hat. Und ich hoffe, daß der Kanzler meine Position teilt, daß die CDU offener und ökologischer werden muß. Seine Rede vor dem Weltklimagipfel läßt diese Hoffnung nicht ganz unbegründet erscheinen ...

... seine Rede nach der Wahl vor dem Bundesvorstand schon.

Er hat sich abgesetzt von der Schwarz-Grün-Debatte.

Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel meint gar, eine schwarz- grüne Koalition würde die Union vernichten.

Zum heutigen Zeitpunkt würde eine schwarz-grüne Koalition von vielen unserer Wähler nicht verstanden, weil die Ansichten im Bereich Innere Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung zu weit auseinanderliegen. Wenn die Tendenz sich allerdings fortsetzt, daß die CDU ökologischer und die Grünen bürgerlicher werden, muß das in Zukunft nicht mehr so sein.

Wann beginnt diese Zukunft?

In diesem Jahrhundert wird es zu keiner schwarz-grünen Koalition mehr kommen.

Auch wenn die Union nicht gleich, wie Waigel befürchtet, vernichtet wird, so werden doch allein schon durch die Debatte über Schwarz-Grün, durch die signalisierte Öffnung Wähler am rechten Rande verschreckt.

Wenn man die Debatte klug führt, kann man diese Gefahr minimieren ...

... aber nicht bannen.

Nichts ist ohne Risiko. Es gibt bei starken gesellschaftlichen Veränderungen nur wenige Bereiche, in denen man risikolos agieren kann. Wenn wir sagen, wir bleiben, wie wir sind, werden wir uns mit dem 30-Prozent-Ghetto bei Landtagswahlen abzufinden haben. Das ist nicht meine Position.

Auch in der FDP tendieren Kräfte hin zu einer Positionierung rechts von der Union. Rechtsintellektuelle propagieren eine dezidiert rechte demokratische Partei. Ist dort Raum für eine eigenständige politische Kraft?

Das muß man sehr ernst nehmen. Deswegen signalisiere ich auch in meinem Landesverband Niedersachsen den Konservativen, daß sie zu uns gehören. Ich will keine demokratische Partei rechts von der CDU. Es ist eine große historische Leistung der Union, daß sie diesen Bereich abdeckt.

Den rechten Bereich abdecken, die ökologischen Themen der Grünen besetzen und gleichermaßen modernisierungsbereit wie mehrheitsfähig sein – muten Sie der Union nicht ein bißchen viel zu?

Es ist viel, aber es ist der richtige Auftrag, dem wir uns zu stellen haben. Interview: Dieter Rulff