RWE droht hessischer Landesregierung

Ministerin Blaul verhindert die Wiederinbetriebnahme von BiblisB / Seit vier Jahren heimliches Angebot auf Schadenersatzverzicht beim pfälzischen AKW Mülheim-Kärlich  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) – In der Nacht zum Sonnabend hatte die für die Atomaufsicht zuständige hessische Superministerin für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit, Iris Blaul (Bündnis 90/Die Grünen), noch die Muskeln spielen lassen und dem Energiegiganten RWE das Wiederanfahren BlockB in Biblis untersagt – aufgrund von „Sicherheitsbedenken“. Gestern schlug RWE zurück: Ein Konzernsprecher kündigte eine Klage gegen die Landesregierung mit ihrem „ausstiegsorientierten Genehmigungsvollzug“ an. Denn die Verfügung von Ministerin Blaul, so der Konzernsprecher, sei „sicherheitstechnisch nicht begründbar“.

„Überraschend“ für das Ministerium wollte das RWE den nach einem Störfall vom 23.Februar 1995 stillgelegten Reaktor am Sonnabend wieder in Betrieb nehmen, da nach Auffassung der Betreiber „alle Maßnahmen ergriffen“ worden seien, die einen ähnlichen Zwischenfall in Zukunft verhindern sollen. Bei dem Störfall im Februar waren aus einem Leck in einer zum Primärkreislauf hin nicht abgesperrten Rohrleitung rund vier Tonnen radioaktive Kühlmittel in Form von Dampf in den Sicherheitsbehälter geströmt.

Ursache für das Leck, so das Ministerium am Sonnabend, sei „Materialermüdung“ gewesen — „ausgelöst durch thermische Beanspruchung, möglicherweise in Kombination mit einer blockierten Stoßbremse (Aufhängung von Rohrleitungen)“. Der Reaktor dürfte deshalb laut Anordnung erst wieder angefahren werden, wenn mit hinreichender Sicherheit nachgewiesen sei, daß vergleichbare Schadensverläufe an der Schadenstelle und anderen sicherheitstechnisch wichtigen Teilen der Anlage zumindest bis zur nächsten Revision nicht auftreten könnten.

Doch obgleich bis zum vergangenen Wochenende erst 28 der – auch nach Angaben des RWE – insgesamt rund 100 sicherheitsrelevanten Stoßbremsen kontrolliert waren, wollte RWE den Reaktor wieder ans Netz lassen. „Mit dem Versuch, BiblisB ohne die notwendigen Prüfungen und ohne Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen wieder in Betrieb zu nehmen, verstößt RWE eklatant gegen Sicherheitsgrundsätze“, kritisierte Umweltministerin Blaul am Sonnabend.

Für das RWE verhindert die Ministerin dagegen die Wiederinbetriebnahme, obgleich sich die noch nicht abschließend untersuchten Stoßbremsen außerhalb des „Sicherheitseinschlusses“ befänden. Ein Leck dort, meinte der Konzernsprecher, wäre „nicht sicherheitsrelevant“. Deshalb habe man am Sonntag Klage gegen die Verfügung von Ministerin Blaul eingereicht: „Sollten wir Recht bekommen, tickt die Schadenersatzuhr.“

Der Landesregierung in Rheinland-Pfalz hingegen liegt ein Angebot des RWE zum Verzicht auf Schadenersatz in Sachen stillgelegtes AKW Mülheim-Kärlich offenbar schon seit vier Jahren vor. In einer Anfrage an die Landesregierung wollen die Bündnisgrünen im Landtag jetzt wissen, welche Bedingungen RWE an dieses Angebot geknüpft hat. „Insbesondere interessiert uns natürlich, warum die Landesregierung das Angebot der Öffentlichkeit fast vier Jahre lang verschwiegen hat“, sagte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Landtag, Friedel Grützmacher.