Deibel, komm raus!

■ Neu im Kino: die Tragödie „Little Odessa“, ein Gruselfilm aus Versehen

Oma feiert ihren 80. Geburtstag, und alle Gäste sehen aus wie die Zombies aus „Die Nacht der lebenden Toten“. Maximilian Schell trägt ein Make-Up, mit dem er im realen Leben sofort in die Intensivstation eingeliefert worden wäre. Alle anderen Geburtstagsgäste haben bizarre Fratzen, die zudem extrem häßlich ausgeleuchtet wurden; man erwartet ständig, daß gleich Satan persönlich aus der Cremetorte springt. Aber das Deprimierendste an dieser Szene und am ganzen Film ist, daß der Regisseur James Gray all das so furchtbar ernst meint.

Hier versucht einer auf Deibel-komm-raus, eine „klassische amerikanische Tragödie“ zu machen. Und dafür ist ihm jedes Mittel recht. Immer ist es duster, immer gucken die Schausteller traurig aus der Wäsche. Wenn sie mal den Mund aufmachen, klagen sie über Krankheit, Tod oder das triste Leben im Exil. Und wenn dann im Soundtrack die russischen Choräle wieder anschwellen, weiß man schon: In der nächsten Szene kommt alles noch schlimmer.

„Little Odessa“ besteht nur aus solchen manipulativen Tricks. Den wichtigsten aber hat Gray vergessen: Weil er uns keine seiner Filmfiguren auch nur halbwegs interessant nahebringt, interessiert den Zuschauer das Schicksal dieser russischen Familie in Brooklyn nicht. Ob die Mutter an Krebs stirbt, ob der eine Sohn als bezahlter Killer innerlich vereist und der andere vom Vater verprügelt wird – wenn kümmert's? Da können Tim Roth, Vanessa Redgrave und Maximilian Schell noch so schön schauspielern. Ihre Charktere bleiben Pappfiguren in einer Instant-Tragödie.

Im Grunde erzählt der Film die alte Hollywoodmär „Familie meets Mafia“. Nur spielt sie diesmal nicht unter italienischen Einwanderern, sondern unter russischen Juden und so gibt's für's Lokalkolorit Schwermut statt Spaghetti.

Gray ist selbst russisch-jüdischer Abstammung und vielleicht ist ja ein Satz aus dem Film autobiografisch aufzufassen. Das würde erklären, warum Gray sich so genußvoll im Elend wälzt: Als Vater sagt da Maximilian Schell, es sei vielleicht ein Fehler gewesen, seinem zwei Jahre alten Sohn „Schuld und Sühne“ vorzulesen. „Little Odessa“ ist wie Dostojewskij im Kindergarten. Wilfried Hippen

Filmstudio, täglich 21.30 Uhr