Ein Preis für KunstzerstörerInnen

■ Der „Salon Europa“ fand diesmal in der Lychener 60 statt. Thema war „bauliche Selbsthilfe“, und Herr Vischer mit V zeigte ein Video von Hase, dem Bären

Salon ist in. Vor etwa einem halben Jahr veröffentlichte der Wilmersdorfer Literat und Freistil-Soziologe Nicolaus Sombart nicht nur seine „Pariser Lehrjahre“, sondern brachte in fast allen Zeitungen sein Lieblingsthema ins Stadtgespräch: die Renaissance des Salons als Ort des gepflegten Gesprächs. Sombart, der selbst einen sonntäglichen Salon zu geben pflegt, sieht darin die Lebensform der Zukunft.

Mittlerweile veranstalten ausgerechnet die von ihm als für das herzhaft unkultivierte Klima Berlins verantwortlich erachteten Protagonisten der „Subkultur“ einen eigenen (nomadisierenden) „Salon Europa“. Mit einwöchiger Verspätung war er am Montag wieder geöffnet, auf dem Dachboden der Lychener Straße 60.

Dreißig schwindelfreie BesucherInnen hatten den halsbrecherischen Weg über zwei wackelige Leitern und ein Dach gefunden, um gemeinsam über Geschichte und Perspektiven der „baulichen Selbsthilfe“ zu diskutieren. Diese wird immer dann unausweichlich, wenn alte Gemäuer aktiv vor Verfall oder Spekulation geschützt werden sollen. Aber auch die kulturell interessierten FreundInnen des Salon Europa kamen nicht zu kurz. Begrüßt von einem Gastgeber, der sich als „Herr Anton Vischer mit V“ vorstellte, wurde ihnen die neueste Folge der Video- Eigenproduktion „Hase, der Bär“ vorgeführt – diesmal live aus dem Haus in der Black River Road Nr. 67, Long Valley, USA.

Hase, der Bär, nahm seine ZuschauerInnen mit auf eine Tour durch dessen gnadenlose Inneneinrichtung, inklusive Zinnfigurensammlung und BewohnerInnen. Leider fielen sowohl das übliche „interaktive Plaudernet“ als auch die akustische Untermalung des Abends technischen Schwierigkeiten zum Opfer. Henry, die Gitarre, mußte sich nach dreiwöchiger Abwesenheit erst wieder an ihren Verstärker gewöhnen und wollte partout nicht auftreten. So blieb es beim „Letzten Walzer mit dir“ und einer Bierflaschen-Pfeifton-gestützten Gesangseinlage zum Mitschunkeln.

In der Diskussionsrunde, die von Herrn Vischer mit V und einem Mitstreiter kompetent moderiert wurde, präsentierten sechs ExpertInnen aus fünf Projekten ihre teils doch wenig begeisternden Erfahrungen mit der Selbsthilfe auf dem Bau. Der ewige Widerstreit zwischen Kollektivanspruch und individuellen Realitäten, zwischen Kunst und Leben, zwischen der Gefahr, „langsam in ein etabliertes Dasein abzugleiten“ und dem unerträglichen Dreck auf dem gemeinsamen Flur ist auch bei der Generation der ExbesetzerInnen ein Dauerbrenner.

Eine kurze Pause leitete mit Getränken, Walzertakt und Rhabarberkuchen zum gemütlichen Teil des Abends über. Den unbekannten KunstzerstörerInnen, die vor einigen Wochen die Werke des Wiener Professors und Übermalers Arnulf Rainer ohne ausdrückliche Aufforderung übermalten, wurde – naturgemäß in Abwesenheit – der „Mehr-Mut-Wanderpokal“ verliehen.

Ein letzter Walzer beendete diesen seltsamen Abend, der nächste Salon Europa wird sich mit der Stadtentwicklung in Berlin befassen und am Beispiel der Olympiastadt Barcelona aufzeigen, was Berlin als zukünftiger Hauptstadt bevorsteht. Was wird Hase, der Bär, auf seiner Fahrt um die Welt bis dahin erlebt haben? Werden Henry, die Gitarre, und ihr Verstärker wieder zusammenfinden? Antworten auf diese Fragen gibt es – ohne Gewähr – voraussichtlich am 26.5. um 20 Uhr in der Strelitzer Straße 8. Genauere Informationen und Feinabstimmungen der Terminplanung sind über Salon Europa, Strelitzer Straße 61, zu erfahren. Gunnar Lützow