Diamanten, Glanz und Elend

Die Stadt Saurimo, tief im Landesinneren Angolas, trägt alle Zeichen des jetzt beendeten Krieges / Flüchtlingsnot neben Schmugglerreichtum  ■ Aus Saurimo Kordula Doerfler

Morgens um sieben ist die Welt in Saurimo in Ordnung. Scheinbar. Ein Frachtflugzeug der UNO landet auf dem kleinen Rollfeld in der Nähe der Stadt, in Windeseile werden Säcke mit Sojabohnen und Mais entladen und auf Lastwagen verteilt. Nach kaum einer halben Stunde ist das Rollfeld wieder ausgestorben. Scheinbar.

Auch in der Stadt ist alles ruhig. Nur wenige Autos sind auf den holprigen Straßen voller Schlaglöcher zu sehen und noch weniger Menschen. Die Häuser, viele im portugiesischen Kolonialstil, tragen alle Spuren des Verfalls, die einstmals üppigen tropischen Gärten sind verwahrlost. Dort, wo einst Geschäfte waren, gähnen dunkle Höhlen ohne Fensterscheiben. Das Mobiliar ist gestohlen oder zertrümmert, nur vereinzelte blasse Schriftzüge an den Fassaden lassen erahnen, womit hier früher gehandelt wurde. Eine Stadt in Agonie, nach 20 Jahren Bürgerkrieg. Scheinbar.

Doch das Städtchen Saurimo, etwa 500 Kilometer östlich der angolanischen Hauptstadt Luanda gelegen, ist überfüllt. Zehntausende von Menschen aus der Provinz Lunda Sul und dem gesamten Nordosten Angolas sind vor dem Krieg hierher geflohen, in der Hoffnung, leichter überleben zu können. Denn unmittelbarer Kriegsschauplatz war Saurimo nie. Mehr als 130.000 Menschen leben insgesamt heute hier, schätzt die UNO-Hilfsorganisation vor Ort, das World Food Programme (WFP). Vor wenigen Jahren, ehe der Bürgerkrieg in Angola wieder voll ausbrach, sollen es höchstens 20.000 gewesen sein. Das WFP koordiniert und kontrolliert die Verteilung von Lebensmitteln von insgesamt sieben internationalen Hilfswerken für etwa 40.000 Kriegsflüchtlinge in Saurimo.

„Das Land ist vollkommen leer, die Dörfer sind ausgestorben“, beschreibt der örtliche Chef des WFP, der Peruaner Carlos Castillo, die Lage. „Jetzt sitzen die Menschen hier und warten, daß der Krieg vorbei geht.“ Seit einem Jahr ist das WFP vor Ort und schafft derzeit täglich 17 Tonnen Lebensmittel in die Stadt – per Flugzeug. Saurimo ist, wie die meisten Provinzstädte in Angola, vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten, erreichen kann man es nur auf dem Luftweg. Fast sämtliche Straßen, die aus der Stadt herausführen, sind zerstört oder vermint, die Brücken gesprengt.

Zwanzig Jahre lang herrschte Bürgerkrieg zwischen der ehemals marxistischen MPLA-Regierung unter Präsident Eduardo dos Santos und der Rebellenbewegung Unita unter Jonas Savimbi, unterbrochen nur durch einen gescheiterten Frieden in den Jahren 1991/92. Seit der Krieg 1992 wieder ausbrach, starben mehr als eine halbe Million Menschen, Zehntausende wurden von Minen verstümmelt, Hunderttausende wurden von ihrem Land vertrieben. Jetzt herrscht Waffenstillstand, und die UNO startet eine Friedensmission: 7.000 Blauhelmsoldaten, so beschloß im Februar der Weltsicherheitsrat bei der Einrichtung der „Unavem III“, sollen dafür sorgen, daß das im November 1994 vereinbarte Friedensabkommen zwischen Regierung und Unita in die Tat umgesetzt wird. Während die Polizei- und Militärbeobachter bereits im Land sind, wurde die Entsendung der Blauhelme davon abhängig gemacht, ob der Waffenstillstand eingehalten wird. Nach dem ostentativen Bruderkuß zwischen dos Santos und Savimbi Anfang Mai in Lusaka scheint jetzt der Weg für die Blauhelme frei. Fünfzig britische Militäringenieuren befinden sich bereits in der Hauptstadt Luanda. Dazu sollen, so UN-Sonderbeauftragter Alassane Beye, bis Ende Mai logistische Truppen aus Portugal, Argentinien und Rumänien eintreffen. Ab Anfang Juni sollen dann die eigentlichen Blauhelme kommen, die von Brasilien, Indien, Pakistan, Simbabwe und Uruguay gestellt werden. Vorher müßten eigentlich noch Brücken gebaut, Minen geräumt und Straßen repariert werden, damit sich die Soldaten überhaupt im Land bewegen können. WFP-Mitarbeiter sind bereits damit beschäftigt. Und am vergangenen Mittwoch proklamierte die UNO die feierliche „Wiedereröffnung“ der Fernstraße aus der Hauptstadt nach Süden Richtung Benguela und ließ die 50 Briten in einem Konvoi die Straße hinunterfahren.

Wenn die Blauhelme da sind, sollen sie zunächst einmal die verfeindeten Truppen räumlich voneinander trennen, sie in Sammellager bringen und entwaffnen. Dann soll entschieden werden, wer in eine neue nationale Armee übernommen wird und wer nicht. Enden soll die Mission 1997, nach Präsidentschaftswahlen. Im Zuge der Mission soll die humanitäre Hilfe langsam zurückgefahren werden und die Verantwortung für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur in die Hände der Regierung übergehen.

Oberst Abdoulaye Fall aus dem Senegal gehört zu den UN-Militärbeobachtern, die bereits seit fast drei Monaten in Angola sind und die neue Friedensmission vorbereiten. Trotz der aufgetretenen Verzögerungen ist der Oberst optimistisch: „Wir haben einen deutlichen Rückgang der Gewalt festgestellt“, sagt Falls. „Das ist für uns ein Zeichen, daß der Friedensprozeß wirklich in Gang kommt – wenn auch sehr langsam“.

Doch die meisten Flüchtlinge trauen dem Frieden nicht. In Cademba, einem der vielen Flüchtlingscamps am Rande von Saurimo, lebt Agostinho Sosinho zusammen mit seiner Frau und sechs Kindern in einer armseligen winzigen Lehmhütte. Die Kinder schlafen auf dem nackten Boden, die Eltern auf einer winzigen Strohpritsche. Vor seiner Hütte hat er ein kleines Beet angelegt, um dort Süßkartoffeln und Cassava-Wurzeln anzubauen. Wie viele andere Flüchtlinge hier hat die Familie sich zu Fuß hierher durchgeschlagen, in zum Teil nächtelangen Märschen. „Tagsüber haben wir uns versteckt, nachts sind wir gelaufen, bis wir irgendwann hier ankamen.“ Zurückgehen in seinen etwa 60 Kilometer entfernten Heimatort? In Saurimo fühlt sich Agostinho sicher. „Wir müssen hier keine Angst haben“, sagt er, „aber es ist ein armseliges Leben.“ Sanitäre Anlagen gibt es keine. Wasser holen die etwa 4.000 Flüchtlinge vom nahegelegenen Fluß. Auch die normalen Bewohner Saurimos beschaffen ihr Wasser in Kanistern und Tanks.

Neben dem Kampf gegen den Hunger ist die medizinische Versorgung das größte Problem. In den Flüchtlingscamps wurden kleine Stationen errichtet, in denen zumindest Medikamente gegen Tropenkrankheiten wie Malaria und Diarrhoe verteilt werden. Wer die ebenfalls weit verbreitete Tuberkulose hat, muß in die Stadt gehen und sich dort in einer notdürftig eingerichteten Krankenstation der Evangelischen Kirche behandeln lassen.

Die liegt auf dem Gelände des Krankenhauses, einem weitläufigen Komplex mit großem Garten. Vor dem Haupteingang stehen sechs Sanitätsfahrzeuge mit zentimeterdicken Spinnweben um das Blaulicht, ohne Reifen und Lenkräder. Das einst herrschaftliche Hauptgebäude bietet ein Bild der Verwüstung: keine Fensterscheiben, kein Strom, kein Wasser. Die Gänge sind düster, der Putz bröckelt von den Wänden, sämtliche medizinischen Apparate sind kaputt und mit dicken Schmutzschichten verkrustet. Auf der Kinderstation sitzen einige Mütter mit ihren Kindern in der Dunkelheit. Die Infektionskrankheiten der Kinder wären leicht zu kurieren. Aber die wenigen Ärzte, die sich noch hier aufhalten, haben keine Medikamente. „Wir können so gut wie nichts tun“, gesteht der Verwalter des Krankenhauses, George Calado, ein. Wer hierher kommt, muß Decken und Essen selber mitbringen und die Medikamente auf dem Schwarzmarkt besorgen. Die Kindersterblichkeit in Angola bricht alle Weltrekorde – von 1.000 Neugeborenen sterben nach einer Unicef-Erhebung fast 300 im ersten Lebensjahr.

Nicht alle Menschen in Saurimo hungern und leiden Not. Gleich hinter dem Krankenhaus liegt eine schmucke Villa, frisch gestrichen, mit Satellitenschüssel auf dem Dach, Blumen im Garten — das Haus des örtlichen Militärkommandanten. Auf dem Markt, ein paar hundert Meter weiter, gibt es fast alles: amerikanischer Whiskey, portugiesische Weine, italienische Spaghetti, Konserven aus Frankreich und Südafrika stapeln sich auf dem Boden.

In Saurimo läßt sich Geld verdienen – viel Geld. Die Stadt liegt mitten in den größten Diamantengebieten Angolas, die neben den riesigen Ölvorkommen den Reichtum des Landes bilden. Während der letzten Kriegsrunde von 1992 bis 1994 kontrollierte die Regierung die Ölfelder, die Unita die Diamentengebiete. Der Frieden kam erst, als die Unita begann, diese Gebiete zu verlieren.

Nun werden lastwagenweise, so erzählen UNO-Mitarbeiter, Alkohol und Konsumgüter auf der einzigen halbwegs befahrbaren Straße in das Gebiet nördlich von Saurimo geschafft, wo Tausende von Diggern aus aller Welt ihr Glück suchen. Die Waren kommen in Charterflugzeugen aus der angolanischen Hauptstadt. Bis zu 20 dieser Flugzeuge, gemietet von privaten Geschäftsleuten, starten und landen täglich in Saurimo.

Vom regen Austausch mit der Hauptstadt profitieren auch andere in der Stadt. Im Innenhof eines alten Hauses betreibt Maria Val d'Agosta die einzige funktionierende Kneipe am Ort. Die 72jährige ist Oberhaupt einer portugiesischen Familie, die in den 40er Jahren nach Saurimo kam. Früher betrieb ihr Mann ein Geschäft, heute verkauft sie Getränke wie Bier und Spirituosen – und Softeis. Ein Bier ist bei ihr billiger als auf dem Markt: Es kostet 1,5 Millionen Kwanzas – knapp ein US-Dollar.

Mittags herrscht hier reger Betrieb, Polizisten und Soldaten schleppen Alkohol in schweren Aktentaschen weg, abends treffen sich die Mitarbeiter der internationalen Hilfsorganisationen und die UNO-Leute. „Das Leben ist sehr hart gewesen in den Kriegsjahren“, erzählt die alte Wirtin, die sich samt ihrer Familie nie dazu entschließen konnte, wegzugehen. „Irgendwie geht das Leben immer weiter.“ Aber Frieden? „Man hat uns so viele Versprechen gemacht in den letzten Jahren, und es ist nie etwas passiert. Ich glaube nicht mehr, daß sich wirklich etwas ändert.“ Sie seufzt resigniert und spricht davon, wie reich Angola doch eigentlich sei. Mit einer vagen Handbewegung deutet sie Richtung Norden, dort, wo die Diamantengebiete sind.

Die Anziehungskraft der Diamanten ist ungebrochen. So stehen sich an einem Fluß nördlich von Saurimo, wie der Unavem-Oberst für die Region Nordost berichtet, mitten im Diamantengebiet Unita- und Regierungstruppen unmittelbar gegenüber, nur durch den Fluß getrennt – im Moment friedlich. „Aber am Frieden sind beide Seiten dort nicht sehr interessiert“, sagt der senegalesische Oberst Fall. „Sie profitieren vom Krieg und von den Diamanten.“