Lücke im Milan-Block

Ajax Amsterdam gewinnt den Europacup der Landesmeister durch ein 1:0 gegen den AC Mailand  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Ob es ein würdiges Europacup-Finale der Landesmeister war, darüber läßt sich, wie meist, trefflich streiten. Daß Ajax Amsterdam ein würdiger Europapokal-Sieger ist, daran gibt es keinen Zweifel. Gegen den berüchtigten Abwehrblock des AC Mailand, der im letzten Jahr den FC Barcelona brutal auflaufen ließ, und auch, mit kleinen Modifikationen, die brasilianische Nationalmannschaft beim WM-Finale, konnte das blutjunge Team des alten und neuen niederländischen Meisters zwar nicht den gewohnten Angriffswirbel entfachen, aber immerhin den Ball behaupten – zumindest in der zweiten Halbzeit. Das war Johan Cruyffs Katalanen im letzten Jahr nicht gelungen. Nie war der FC Barcelona zu seinem gewohnten Kombinationsspiel gekommen und blind in die von Dejan Savicevic dirigierten Konter der Mailänder gelaufen.

Der Serbe, seit Jahren bester Mittelfeldspieler Europas und im Halbfinale gegen Paris St. Germain fast allein für den Endspieleinzug verantwortlich, fehlte dem AC Mailand in Wien bitterlich, auch wenn es sehr fraglich ist, ob Milan mit Savicevic gewonnen hätte. Fakt ist: Das Konterspiel lief weitgehend miserabel, auch wenn sich Simone und Massaro ein paar halblebige Torchancen boten.

In der ersten Halbzeit sah es noch so aus, als würde sich die Routine und Kompaktheit des AC Mailand, der die Gruppenspiele der Champions League nur knapp überstanden hatte, im Laufe der Saison aber immer besser wurde, gegen das Ajax-Team durchsetzen. Angetrieben von den starken Verteidigern Maldini und Panucci sowie dem allgegenwärtigen Desailly drängte Milan den Gegner zurück, das Mittelfeld mit Boban, Albertini und Donadoni war jedoch nicht in der Lage, den Druck in Torchancen münden zu lassen.

Nach der Pause verordnete der vorsichtsbesessene Mailänder Coach Fabio Capello seiner Mannschaft plötzlich strikte Defensive, und Ajax kam – vor allem nach der Einwechslung der 18jährigen Stürmer Kanu und Kluivert – immer besser ins Spiel. Geduldig ließ man den Ball laufen, immer auf der Suche nach der entscheidenden Lücke. Dem 32jährigen Frank Rijkaard, für Ajax-Verhältnisse fast ein Greis, war es vorbehalten, diese zu finden. Seinen Kurzpaß stocherte Patrick Kluivert – während der Saison hochgelobt, am Ende bei Trainer van Gaal gelegentlich in Ungnade gefallen – in der 85. Minute ins Tor von Milan- Keeper Rossi.

Der AC Mailand besann sich jetzt darauf, daß es auch noch so etwas wie eine gegnerische Hälfte gibt, doch fünf Minuten waren zu kurz, um noch den Ausgleich zu schaffen. Außerdem zeigte sich schnell, was passiert, wenn man gegen Ajax zu offen spielt. Nur eine Glanzparade von Rossi verhinderte bei einem Konter über den Nigerianer Kanu und Danny Blind das 0:2, Fabio Capello konnte sich in seiner ängstlichen Taktik wenigstens ein bißchen bestätigt fühlen. Ansonsten wird er sich sehr unangenehm an einen Tag vor 22 Jahren erinnert haben. Damals stand er selbst in einem Europacup-Finale der Landesmeister auf dem Platz und verlor mit Juventus Turin ebenfalls 0:1 – gegen die Ajax- Mannschaft mit Johan Cruyff, die Anfang der siebziger Jahre drei Landesmeisterpokale holte.

Eine ähnliche Ära wird angesichts der Jugendlichkeit des Ajax- Teams auch jetzt wieder beschworen, doch Präsident Michael van Praag will davon nichts wissen: „Das ist Utopie.“ Seit fast drei Jahrzehnten bringt die gerühmte Jugendarbeit des Klubs massenhaft Talente hervor, die dann an italienische oder spanische Klubs verhökert werden. Von Cruyff, Rep, Neeskens, Krol über Rijkaard, van Basten bis Bergkamp, Jonk, Roy, Winter sind halbe niederländische Nationalmannschaften aus der Ajax-Schule über Alpen und Pyrenäen gepilgert. Es spricht nichts dafür, daß dieses künftig anders sein wird. Seedorf, Davids, Kluivert, Kanu heißen die nächsten Kandidaten, denn, so sagt van Praag, „uns fehlt das große Kapital“.

Auch Trainer Louis van Gaal glaubt nicht an die Wiederkehr einer Ajax-Ära: „Eine solche Dominanz einer Mannschaft über einen längeren Zeitraum wird es nicht mehr geben.“ Vor allem seiner glücklichen Hand bei den Einwechselungen wurde nach dem Match der größte Anteil am Sieg zugeschrieben, doch Lobeshymnen, die ihn als Rinus Michels des Jahres 2000 feierten, wies er zurück: „Das kann ich sagen, wenn ich 50 bin.“ Eine Aussage, die bescheiden klingt, aber es nicht unbedingt ist. Immerhin ist Louis van Gaal schon 44.