■ Konsequenzen aus dem Spionage-Urteil des BVerfG
: Irrweg Generalamnestie

Natürlich war die DDR-Staatssicherheit kein „normaler Geheimdienst wie jeder andere“, wie gern von den Schlußstrich-Befürwortern behauptet wird. Alles war erlaubt, was zur Machtsicherung der SED-Diktatur notwendig schien, es durfte nur nicht herauskommen. Man arbeitete mit alten Nazis zusammen, fälschte Akten, erpreßte, entführte, und notfalls wurde auch gemordet. Die Aufgaben der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) beschränkten sich keineswegs auf das Ausspionieren von Staatsgeheimnissen. Das ganze Repertoire der Zersetzungsmaßnahmen, mit denen die Opposition in der DDR zerschlagen werden sollte, gehörte auch zum HVA-Standard und richtete sich gegen zahlreiche BundesbürgerInnen.

Dennoch halte ich das Karlsruher Urteil für angemessen. Die dort unter Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz entschiedene grundsätzliche Straffreiheit für DDR-Spione bedeutet jedoch keinen Generalpardon für all die kriminellen Delikte, deren sich hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS schuldig gemacht haben, ob sie nun der HVA angehörten oder der Hauptabteilung XX. Statt einer pauschalen Strafverfolgung aller HVA-Mitarbeiter wegen Landesverrrats, was absurd ist und meines Erachtens auch nur für Westbürger gelten kann, sollte wegen konkreter Delikte ermittelt und bestraft werden.

Damit wird zwar eine Vielzahl von Strafverfahren eingestellt, aber die Folge ist keineswegs eine Amnestie für DDR-Spione. Verbrechen des MfS gegen BürgerInnen der Bundesrepublik oder den Staat können nun nach gleichen rechtlichen Maßstäben verfolgt werden, wie Straftaten gegen die eigene Bevölkerung in der DDR verfolgt werden. Das halte ich im Prinzip für akzeptabel, weiß jedoch, wie schwerfällig diese Art Verfahren in der Praxis läuft.

Aber weder diese Schwerfälligkeit noch die Komplikationen aufgrund des Rückwirkungsverbots, noch der hohe personelle und finanzielle Aufwand rechtfertigen eine Amnestie. Abgesehen von der fehlenden Zustimmung der Opfer nähme das Rechtsbewußtsein Schaden, wenn Verbrechen in staatlichem Auftrag als sozusagen systembedingt zum Kavaliersdelikt erklärt würden. Sie müssen als das kenntlich bleiben, was sie sind: Unrecht. Deshalb ist Markus Wolf als stellvertretender Minister der Staatssicherheit und HVA-Chef für Verbrechen des MfS zur strafrechtlichen Verantwortung zu ziehen – trotz Karlsruher Richterbeschluß. Jeder Versuch, unter Verweis auf das Verfassungsgerichtsurteil eine Generalamnestie auf die Tagesordnung zu setzen, ist dem ersehnten Rechtsfrieden abträglich. Ulrike Poppe

Bürgerrechtlerin, Studienleiterin bei der Ev. Akademie Berlin