Status quo? Rückzug? Umgruppierung? Angriff?

■ Wie die UNO intensiv über vier Optionen zwischen Abzug der Blauhelme und Stärkung der Mission streitet und am Ende wohl doch nichts verändert

Krach im UN-Sicherheitsrat: Noch nie seit Beginn des Krieges im April 1992 waren die Dissonanzen zwischen den wichtigsten Beteiligten – den fünf ständigen Ratsmitgliedern und Generalsekretär Boutros Ghali – so stark wie in diesen Tagen. Von lautstarkem Streit hinter den Kulissen ist die Rede. Ob es unter diesen Umständen zu dem für heute angekündigten Beschluß über die Zukunft der Blauhelme in Bosnien (Unprofor) kommt, ist mal wieder völlig offen.

Vor zehn Tagen hatte Boutros Ghali dem Sicherheitsrat mündlich vier denkbare Optionen vorgetragen:

1. Beibehaltung des Status quo – das heißt, keine Veränderung des Mandats der Unprofor;

2. völliger Abzug der rund 26.000 Soldaten;

3. Stärkung der Mission durch Verschärfung des Mandats, bessere Ausrüstung der Soldaten mit schweren Waffen sowie Einsatz von Nato-Luftangriffen;

4. ein Teilabzug sowie die Umgruppierung der verbleibenden Unprofor-Einheiten.

Zugleich machte der UNO-Generalsekretär seine Präferenz für Option 4 deutlich. Es wurde erwartet, daß Boutros Ghali hierfür heute einen detalliertes Konzept vorlegt.

Als wahrscheinliche Variante galt in der UNO-Peace-keeping- Abteilung der Abzug der Unprofor-Einheiten aus den drei ostbosnischen „Sicherheitszonen“ und Muslimenenklaven Srebenica, Goražde und Zepa sowie eine Umgruppierung der Einheiten in den „Sicherheitszonen“ Sarajevo, Bihać sowie möglicherweise Tuzla.

Doch wahrscheinlich wird der UNO-Generalsekretär überhaupt kein Konzept mehr vorlegen. Zwar votieren sein Sonderbeauftragter für Ex-Jugoslawien Yasushi Akashi (siehe nebenstehendes Interview) sowie der ihm unterstellte Unprofor-Oberkommandierende General Bernhard Janvier weiterhin für Teilrückzug und Umgruppierung. Doch der Franzose Janvier ist in dieser Frage offensichtlich nicht mehr auf der Linie der Pariser Regierung. Deren vormaliger Außenminister und heutige Premierminister Alain Juppé hatte im März/April durch wiederholte Drohungen mit dem Abzug der französischen Unprofor-Kontingente überhaupt erst den Druck ausgelöst für neue Diskussionen im Sicherheitsrat.

Aber „jetzt ist der französische Präsidentschaftswahlkampf ja vorbei“, bemerkte der britische UNO- Botschafter David Hannay am Mittwoch nicht ohne Süffisanz.

Und Frankreich vollzog im Sicherheitsrat eine Kehrtwende. Desavouiert ist damit vor allem Boutros Ghali, der seine Argumentationen bisher wesentlich auf die früheren Abzugsdrohungen aus Paris gegründet hatte. Laut Hannay wird der Sicherheitsrat keinen Teilrückzug beschließen und, wenn überhaupt, nur eine geringfügige Umgruppierung. Bleibt damit alles wie gehabt?

Die resoluten Äußerungen der US-Botschafterin Madeleine Albright, die in der Nacht zum Donnerstag ein verschärftes Mandat für die Unprofor forderte und die UNO erneut heftig kritisierte, weil sie keine Luftangriffe anfordere, hinterlassen bei ihren Kollegen im Sicherheitsrat unterdes wenig Eindruck – solange die USA nicht bereit sind, sich selber mit Soldaten an der UNO-Mission in Bosnien zu beteiligen. Andreas Zumach, Genf