■ Nach den neuen Granatenangriffen auf Sarajevo hat die UNO einen Bombeneinsatz der Nato angefordert. Eine Erweiterung des Mandats der UNO-Blauhelme ist dennoch nicht zu erwarten.
: UNO auf dem Nullpunkt

Nach den neuen Granatenangriffen auf Sarajevo hat die UNO einen Bombeneinsatz der Nato angefordert. Eine Erweiterung des Mandats der UNO-Blauhelme ist dennoch nicht zu erwarten.

UNO auf dem Nullpunkt

Wieder fallen Granaten und Bomben auf Sarajevo. Und wieder einmal schien die UNO ihr Wort zu brechen. Zur Erinnerung: Nach der Etablierung einer 20-Kilometer-Sicherheitszone um Sarajevo im März 1994 wurden den serbischen Truppen Vergeltungsschläge angedroht. Würden sie aus dieser Zone heraus die Stadt noch einmal beschießen, so hieß es damals, würden Luftangriffe der Nato unausweichliche Folge sein.

Angesichts des neuen Granatenhagels forderte der Kommandierende der UNO-Truppen in Sarajevo, Rupert Smith, am Dienstag abend zum wiederholten Male den Einsatz von Nato-Kampfflugzeugen. Doch Yasushi Akashi, der UN-Sonderbeauftragte in Ex-Jugoslawien, hatte das abgelehnt. Es heißt, Akashi habe Angst, die serbischen Militärs könnten UNO- Mitarbeiter und -Truppen als Geiseln nehmen. Der Nato-Angriff kam gestern dennoch.

Die UNO-Truppen sind entgegen ihrem ursprünglichen Auftrag zu einem Hemmnis für Nato-Aktionen geworden. Es bleibt also abzuwarten, ob auf Druck der USA in den nächsten Tagen weitere Luftangriffe auf die serbischen Angreifer erfolgen werden. In Bosnien-Herzegowina kalkulieren Regierungskreise auch den gegenteiligen Fall ein. Seit Wochen laufen die Vorbereitungen für einen Angriff der bosnischen Armee auf serbische Stellungen rund um Sarajevo.

Ob es den bosnischen Truppen aber gelingen könnte, den Belagerungsring um die Stadt zu sprengen, wird angezweifelt. Denn das Gelände, so ein kanadischer Militärbeobachter in Zagreb, favorisiert die serbische Seite.

In bezug auf das Verhalten der UNO wird die Kritik in Bosnien- Herzegowina und auch in Kroatien immer schärfer. In der Bevölkerung macht sich Feindseligkeit breit. Selbst Kommandeure von Frontabschnitten, wie der Kommandant der kroatisch-bosnischen Truppen von Orasje, weigern sich inzwischen, offen mit den Blauhelmen zusammenzuarbeiten.

Neue Nahrung hat diese Haltung aus dem Umstand bezogen, daß es für die UNO plötzlich möglich war, an die 300 Beobachter der Menschenrechtslage nach dem von der kroatischen Armee kürzlich zurückeroberten Westslawonien zu entsenden, was von vielen durchaus begrüßt wird. In den serbisch besetzten Gebieten jedoch wird diesbezüglich kein Aufwand getrieben, so lautet die Kritik. Nur ein einziger Beobachter ist in Banja Luka tätig, wo die dort noch lebenden Katholiken und Muslime terrorisiert werden.

Auch der plötzliche Drang der britischen und französischen Truppen, aus Sarajevo und Goražde abzuziehen, der mit dem Vorschlag verbunden wird, die Enklaven zu „demilitarisieren“, sprich, die bosnische Armee dort zu entwaffnen, ist mit Empörung aufgenommen worden. Dieser und andere Umstände haben den Eindruck entstehen lassen, die Vereinten Nationen unterstützten einseitig die serbische Seite.

Zwar ist die serbische Propaganda ebenfalls nicht zimperlich, die UNO pauschal oder die Truppen einzelner Länder der „Kollaboration“ mit der anderen Seite zu bezichtigen. Und sicherlich hätte Karadžić mit seinen militärischen Mitteln zumindest 1992 das gesamte Bosnien erobern können, hätte die Installierung von UNO- Truppen dem nicht einen Riegel vorgeschoben. Ihre Anwesenheit hat seit Herbst 1992 die Lage zunächst etwas beruhigt, die Eroberungen und die Austreibungen wurden jedoch nicht rückgängig gemacht. Nach Quellen aus der US-amerikanischen Botschaft will die serbische Führung heute den Abzug der UNO-Truppen nicht nur in Kroatien, sondern auch in Bosnien verhindern. Die Präsenz der UNO-Truppen und der Verhandlungsprozeß helfe, die eroberten Gebiete abzusichern.

Die UNO werde von den Kriegsparteien wie auch durch die Konflikte ihrer Mitglieder bei ihrer friedensstiftenden Aufgabe behindert, erklärt Yasushi Akashi. Es scheint an der Zeit zu sein, ernsthaft über die Veränderung der Politik der Weltorganisation in den Krisengebieten der Welt nachzudenken.

In Kroatien und Bosnien-Herzegowina ist das Ansehen der Weltorganisation fast auf Null gesunken. Erich Rathfelder, Zagreb