Nato-Flugzeuge bombardieren Pale

■ Nach der Mißachtung des UN-Ultimatums durch die bosnischen Serben griff die Nato den Vorort Sarajevos gestern nachmittag aus der Luft an / Heute um 12 Uhr läuft ein weiteres Ultimatum aus

Sarajevo (AFP/rtr/taz) – Zwei Nato- Kampfflugzeuge haben gestern nachmittag ein Munitionsdepot in der Nähe der bosnisch-serbischen „Hauptstadt“ Pale bombardiert. Wenige Stunden zuvor war ein Ultimatum der UNO abgelaufen. Augenzeugen berichteten von einer gewaltigen dunklen Rauchsäule aus Richtung Pale. In dem Vorort von Sarajevo wurde nach Berichten von Einwohnern Fliegeralarm ausgelöst, die Schulen wurden geschlossen.

Seit Ablauf des UN-Ultimatums gestern mittag um 12 Uhr hatten sich die Anzeichen für einen bevorstehenden Luftangriff verdichtet. Der UN-Sonderbeauftragte für Bosnien, Yasushi Akashi, erklärte, die bosnischen Serben hätten die vier aus einem UN-Sammellager entwendeten schweren Waffen nicht wie gefordert zurückgegeben. „Damit setzen sich die bosnischen Serben Luftangriffen aus.“ Den Nachmittag über kreuzten Nato- Flugzeuge über der bosnischen Hauptstadt. Anlaß für das Ultimatum waren schwere Kämpfe am Mittwoch, bei denen mindestens sechs Menschen getötet und Dutzende verwundet worden waren. Die Kämpfe waren durch eine Offensive serbischer Truppen auf strategisch wichtige Anhöhen südlich von Sarajevo ausgelöst worden. Sie griffen auch auf Wohngebiete über. Die bosnische Regierung sprach von zehn Toten und 57 Verletzten in den von ihnen gehaltenen Gebieten. Auf serbischer Seite wurde Berichten zufolge ein achtjähriges Mädchen getötet, neun Erwachsene wurden verwundet.

Ein Sprecher des UN-Hauptquartiers in Zagreb hatte kurz nach Ablauf des Ultimatums mitgeteilt, daß die Ziele für Luftangriffe der Nato bereits ausgesucht seien: „Sollte der Befehl kommen, werden die Luftangriffe mit Sicherheit substantieller sein als die Einsätze im Vorjahr.“ Seit April 1993 hat die Nato achtmal serbische Stellungen im ehemaligen Jugoslawien bombardiert. Um die Blauhelme in Bosnien zu schützen, stoppte die UNO die 22 Versorgungskonvois, die zur Fahrt nach Bosnien bereitstanden.

Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić hatte angekündigt, daß seine Truppen im Fall eines Nato-Angriffs die Blauhelme als Kriegsgegner betrachten würden. Ein Unprofor-Sprecher sagte, angesichts dieser Drohung habe die UNO eine Reihe von Maßnahmen zum Schutz ihrer Truppen getroffen. Die am Mittwoch von der UNO gestellte Forderung wird von einem weiteren Ultimatum ergänzt, wonach beide Seiten bis heute um 12 Uhr alle schweren Waffen aus einem Umkreis von 20 Kilometern von Sarajevo abziehen oder den UN-Truppen übergeben müßten. Nachdem es gestern vormittag in Sarajevo relativ ruhig war, schlug etwa eine Stunde nach Ablauf des Ultimatums eine Granate im Breka-Viertel ein. Dabei wurden mindestens zwei Menschen verletzt.

Beim Weltsicherheitsrat in New York hatte sich der Streit um die Zukunft der UNO-Mission in Bosnien am Mittwoch abend zugespitzt. Zu Beginn der Debatte forderte die UN-Botschafterin der USA, Madeleine Albright, erneut Nato-Luftangriffe. Ein US-Diplomat, der nicht genannt werden wollte, sagte, wenn die UNO weiterhin so zurückhaltend gegenüber Nato-Einsätzen sei, werde sich an der dramatischen Lage in Bosnien nichts ändern. Tagesthema Seite 3