■ Normalzeit
: Who was Linden?

Manche Nachrichten kann man ruhig wiederholen, außerdem ist es hochmodern („Recyceln Sie ruhig!“ pflegt man in der Zeit zu sagen). Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) berichtete jüngst über die Weltbevölkerungskonferenz in Kairo, unter anderem über die Übersetzungsprobleme der Simultandolmetscher; übrigens der Beruf mit der höchsten Selbstmordquote. Aus dem Begriff „reproductive health“ wurde im Deutschen „Gesundheit der Fortpflanzung“, im Arabischen „Ehegatten nehmen nach der Geburt Urlaub voneinander“, im Russischen „Die ganze Familie geht auf Urlaub“ und im Chinesischen „Ferien auf dem Bauernhof“.

Aus Politikern werden natürlich nie global players, da können sie noch so viel herumgenschern. An sauberen universellen Begriffs-Bedeutungen arbeiten derzeit nur die großen Konzerne und ihre Forscher. Mit gutem Grund, denn wenn z.B. deutsche Glühbirnen, obwohl „hell wie der lichte Tag“, in Polen wie Blei in den Regalen liegen, dann allein deswegen, weil Osram auf polnisch „Scheiß drauf!“ heißt. Ewa aus Stettin erklärte mir dazu: „Als kleines Mädchen hätte ich es nie gewagt, etwas derartig Unanständiges in einem Laden laut zu verlangen!“ Die Wende machte es möglich, daß Osram die staatliche Glühbirnenfabrik „Polam“ erwerben konnte und sie weiter unter ihrem Namen produzieren läßt, die Deutschen begnügen sich mit der Gewinnabführung. So ist allen geholfen.

Mich kostete ein solches Übersetzungsproblem einmal fast das Leben. Einer resoluten Chinesin hatte ich die Benutzung meiner Küche gestattet, die sie sofort fernöstlich umräumte. Als ich schüchtern einwandte: „Das ist auch meine Küche!“ ging sie mit dem Küchenmesser auf mich los. Ihre sprachbegabteren Kinder konnten gerade noch ein Unglück verhüten. Sie hatte „Das ist nur meine Küche!“ verstanden.

Eher vergnüglich sind dagegen die kleinen alltäglichen Sprach- Mißverständnisse: Wenn man z.B. am Grand-Hotel Unter den Linden von zwei Amerikanern gefragt wird: „Who was Linden?“ Oder wenn ein begeistertes Publikum das National Dance Theatre of Zimbabwe mit „Zugabe“-Rufen anfeuert, die Tänzer aber „Mugabe“ verstehen und sich für die Huldigung für ihren Präsidenten bedanken. Oder wenn jeder deutsch-vietnamesische Geschenkeaustausch mit anschließendem Reiswein-Runden-Ausgeben in peinliche „Deutschland“-Rufe ausartet, weil „Danke“ und „Deutschland“ im Vietnamesischen „duc“ heißen und sich beide Wörter nur durch eine für uns nahezu unhörbar andere Betonung unterscheiden.

Theweleit, Cam und Guattari machten vor Jahren den Versuch, die zunehmende Sprachverwirrung mit einer Zeitschrift zu forcieren: Zut International. Sie wurde über linke Buchläden in Europa vertrieben, die leider nur wenige Exemplare verkauften und noch weniger abrechneten, so daß das Experiment bald wieder eingestellt wurde. Es ging darum, zunächst Artikel in französisch, deutsch, italienisch etc. zu schreiben, aber dabei der wachsenden Durchlässigkeit dieser Sprachen durch das Kauderwelsch von Touristen, Lkw-Fahrern, Wanderarbeitern, Emigranten, Händlern etc. Rechnung zu tragen. Also im Endeffekt in einem für alle lesbaren Euro-Mix zu schreiben.

Die Entwicklung wird wohl sowieso eher von den US-brainwashten Managern und Trendsettern bestimmt, so daß wir bald alle Englisch sprechen und Deutsch dann ungefähr dieselbe Bedeutung hat wie jetzt das Plattdeutsch an der Küste oder das Türkisch in Kreuzberg: Folklore im besten Sinne. Diese Tendenz von oben hat immerhin den Vorteil, daß das Amerikanische mehr als alle anderen Sprachen von unten bereichert wird (Erwähnt sei der Ausruf „that's imeldas!“ angesichts einer mit allzu viel Liebe und Geld eingerichteten Wohnung – der Begriff spielt auf die Schuhmacke von Imelda Marcos an).

Selbst unsere deutschen Penner arbeiten inzwischen mit medialen Begriffskonjunkturen. Erst benutzten sie nach den entsprechenden Spiegel- und Stern- Nummern massenhaft das Wort „Aids“ auf ihren Bettel-Pappschildern und jetzt mehr und mehr „Sarajevo“, seitdem überall in den Gartenlokalen bosnische Bauersfrauen mit diesem Wort und dem Hinweis auf ihre hungrigen Kinder das Almosenfeld beackern, und zwar äußerst erfolgreich. Helmut Höge