Nach dem Zapfenstreich

■ Berliner Nachkriegsgeschichte im Zeitraffer – Das Institut für Lehrerfortbildung legt neue Unterrichtsmaterialien zum Thema „Die Alliierten in Berlin“ vor

Auf die Amerikaner konnten die Berliner sich verlassen: Wenn die Dahlemer Stille durch ein leises Trompetensignal erst richtig still wurde, dann wußte man, daß es punkt fünf Uhr nachmittags war, denn in der US-Kaserne an der Clayallee wurde zum Zapfenstreich geblasen. Seitdem die Alliierten das geeinte Berlin verlassen haben, verstreicht die Nachmittagsstunde unangekündigt.

Was gestern noch selbstverständlich und unumstößlich schien, gilt heute nicht mehr – wir haben es erlebt. Damit auch die, die in das vereinte und vom Besatzungsstatus befreite Berlin heineingeboren werden, erfahren, was einmal war, forderten die Abgeordnetenhaus- Fraktionen von SPD und CDU jüngst, daß die Rolle der Alliierten in Berlin Stoff in den Berliner Schulen werden solle. Entsprechende Unterrichtsmaterialien sollten her.

Zu der Zeit hatte das aus dem ehemaligen „Pädagogischen Zentrum“ hervorgegangene „Berliner Institut für Lehrerfort- und -weiterbildung und Schulentwicklung“ (BIL) aber gerade eine zweiteilige Text- und Bildersammlung unter dem Titel „Berlin und die Alliierten 1944 - 1994“ vorgelegt.

Autoren sind die BIL-Mitarbeiter Hans-Norbert Burkert und Hans-Jochen Markmann, die bereits 1991 ein dreibändiges Werk über die Leiden und den Widerstand der Leningrader Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg („900 Tage Blockade“) verfaßt hatten, in dem die Konzeption einer Materialsammlung für den fächerübergreifenden und multifunktionalen Einsatz im Unterricht erfolgreich erprobt wurde.

Wer die Bildermappe aufschlägt, die 114 Fotos, Faksimiles und Grafiken enthält, mag sich wundern, wenn er Wehrmachtssoldaten erblickt, die einen polnischen Schlagbaum aus dem Weg räumen. Aber die Autoren haben im Bildteil bewußt den zeitlichen Rahmen durchbrochen, um zu verdeutlichen, daß die Teilung und die Anwesenheit der Alliierten in Berlin eine Vorgeschichte hatte, nämlich den verbrecherischen Krieg, mit dem Hitler Europa überzog. Für die Berliner Schulen gilt, daß die Noltes und Zitelmänner draußen bleiben müssen.

Sowohl die Auswahl der Textdokumente als auch die der Bilder krankt etwas an der Tendenz zum „Offiziösen“. Dankbar liest man zwischen all den diplomatischen Noten und Vertragstexten die persönlichen Notate des Oberkommandierenden der Westgruppe, Burlakow, über seine Empfindungen beim bevorstehenden Abzug der Roten Armee. Zwischen Militärparaden und Staatsmännern ist ein Foto, das einen Ostberliner während des Mauerbaus hinter seinem von innen mit Stacheldraht „vergitterten“ Wohnungsfenster zeigt, ein wahrer Lichtblick, der die alltagsgeschichtliche Dimension von „großer“ Politik vergegenwärtigt. Und auf der Fensterbank stehen die sommerlich blühenden Geranien.

Die Fotos, die als Loseblattsammlung vorliegen und in der Reihenfolge beliebig verändert werden können, sind als Einstieg in das Thema gedacht, der die SchülerInnen zu eigenen Aktivitäten wie Zeitzeugenbefragungen und Quellensuche anregen soll. Der Text- und Dokumentenband dagegen stellt eine an LehrerInnen adressierte Materialsammlung dar. Sie ist nicht zuletzt ein reicher Fundus für Prüfungsthemen, zu denen die Lektüre der Dokumente unwillkürlich inspiriert: „Erläutern Sie anhand der Chruschtschow- Rede vom 10. November 1958 die sowjetische Berlin-Politik...“ Die aus Lotto-Mitteln finanzierte Materialsammlung findet an Berliner Schulen reißenden Absatz. Horst Seferens

Hans-Norbert Burkert/Hans-Jochen Markmann: „Berlin und die Alliierten 1944 - 1994“, solange vorrätig kostenlos zu beziehen bei BIL, Uhlandstraße 97, 10715 Berlin, Telefon: 86871.