Bis daß der Psychostreß euch scheidet

Passen Rote und Grüne in NRW zueinander? In Dorsten funktionierte die Zusammenarbeit – bis die SPD wiederholt Absprachen brach. Nun kochen milieubedingte Animositäten und politische Aggressionen hoch  ■ Von Bascha Mika

Eine Grüne über die SPD:

„Altmodisch, gespalten und pöstchengeil.“

Ein Sozialdemokrat über die Grünen:

„Spontan, fundamentalistisch, aber sehr motiviert.“

Nehmen wir das politische Völkchen in einer hübschhäßlichen kleinen Stadt wie dem nordrhein- westfälischen Dorsten. Hier gibt es Schwarze, Rote und Grüne. Sie sitzen zusammen im Rat der Stadt; ihre Fraktionszimmer liegen in schöner Eintracht am selben Rathausflur, man benutzt die selbe Kaffeemaschine und den selben Kopierer. Doch, wie man hört, steht es mit dem rot-grünen Verhältnis nicht zum Besten. „Die Grünen sollte man am nächsten Baum aufknüpfen“, giften die Genossen. „Den Sozis sollte man links und rechts ein paar Ohrlaschen verpassen“, toben die Grünen.

Dabei haben die Fraktionen elf Jahre zusammengearbeitet. Bis die SPD im März eine wichtige Absprache brach. Da flog der Deckel vom Topf. Und eine Beziehungsbrühe kochte hoch, die schmecken läßt, wie unverdaulich eine rot- grüne Suppe sein kann.

Der Wortbruch: Bei der Kommunalwahl im Oktober 1994 bekamen Rote und Grüne die Stimmenmehrheit und beschlossen ein Bündnis. In ihren schriftlichen Vereinbarungen einigten sie sich, daß die Grünen den SPD-Bürgermeister mitwählen würden. Im Gegenzug sollte die SPD den Bau einer Umgehungsstraße verhindern. Die Grünen hielten sich an die Abmachung, der SPD-Bürgermeister wurde gewählt. Ein halbes Jahr später legte die SPD einen Antrag im Rat vor, mit dem das Planverfahren für die Umgehungsstraße auf Eis gelegt werden sollte. Doch bei der geheimen Abstimmung vor zwei Monaten votierten fünf SPDler mit der CDU für den Straßenbau. Der Antrag auf Planungsstopp scheiterte, die Bündnisabsprache war gebrochen, die Grünen geleimt.

Das passierte ihnen in der Zusammenarbeit mit der SPD nun schon zum dritten Mal. Zweimal zuvor hatten die Sozis die Stimmen der Grünen zu einem SPD-Bürgermeister kassiert – und anschließend ihren Teil des Versprechens gebrochen. Und zweimal hatten die Grünen die Kröte widerwillig geschluckt, um nicht auf den scheinbar einzigen Bündnispartner zu verzichten.

„Auch nach dem dritten Wortbruch“, ärgert sich der grüne Parteisprecher Hansbert Peeters, „haben sie so getan, als wäre nichts gewesen. Das hat das Klima vergiftet.“ Ein drittes Mal wollten sich die Grünen von den Roten nicht mehr lächerlich machen lassen. Sie forderten den Rücktritt des SPD- Bürgermeisters. An seiner Stelle wollten sie den langjährigen Stadtdirektor Karl-Christian Zahn (CDU) ins Amt wählen – ohne dabei aber ein Bündnis mit den Christdemokraten einzugehen. Das bedeutet: Wechselnde Mehrheiten im Rat.

Kurz zuvor hatte die SPD auf Landesebene eine neue Gemeindeverordnung verabschiedet. Nur mit Hilfe dieser neuen Ordnung – das freute die Grünen ganz besonders – gelang der Coup. Der Christdemokrat Zahn, der von seinen Parteikumpanen gerne als Grüner beschimpft wird, wurde durch schwarz-grüne Stimmen Bürgermeister. Die SPD schrie „Verrat!“ und schäumte: „Grüne brechen die Koalition. Dorsten wird schwarz-grün!“ Die Grünen hingegen frohlockten, weil sie sich endlich von den Genossen emanzipiert hatten. Susanne Fraund, Vorsitzende der Grünen-Fraktion: „Sie haben uns elf Jahre an der Nase herumgeführt. Nur weil wir ihnen programmatisch näher stehen als der CDU haben sie geglaubt, sie könnten sich alles erlauben.“

Die Beziehungskiste Der Bruch kam spät, doch die Animositäten gärten schon lange. „Wenn zwischen uns und den Sozialdemokraten ein Vertrauensverhältnis bestanden hätte, wäre die Panne verkraftbar gewesen“, sinniert Hansbert Peeters, der mit schwarzem Vollbart am Kinn und „Atomkraft – Nein Danke!“ an der Tür so richtig ins grüne Klischee paßt. Heinz Denniger, Vorsitzender der SPD- Fraktion, sieht es ähnlich: „Der Bruch“, philosophiert der Schlosser in politisch korrektem roten Hemd und Krawatte, „hat was mit Klima und mit Vertrauen zu tun“.

Doch vertraut haben sich die Grünen und die Genossen in Dorsten noch nie. Und das hat nichts mit Peeters alternativem Stil oder Dennigers Schlips zu tun; in Auftreten und Outfit sind sich die Anhänger der Parteien ziemlich ähnlich. Das Mißtrauen rührt aus einer vorurteilsbeladenen Beziehungschose. Als die Grünen in den Rat der Stadt einzogen, wurden sie von den beiden großen Parteien „herablassend behandelt“, sagt CDU- Mann Zahn im nachhinein. Dieses paternalistische Gehabe hat die SPD nie abgelegt – bis hin zum letzten Wortbruch. „Die behandeln uns wie ihre ungezogenen Kinder“, ereifert sich die Grünen- Fraktion und reagiert allmählich allergisch auf das Geklüngel der SPD. „Der rote Filz droht!“ verkünden sie. Überall säßen die Genossen: an der Spitze des Betriebsrats der Dorstener Zeche, an führenden Stellen in den Energiebetrieben VEW und RWE. Die SPD mauschele mit der CDU die Posten in der Stadtverwaltung aus und kontrolliere die Verwaltung nicht richtig. Diese Vorwürfe weist die SPD natürlich weit von sich – kann aber weder den massiven Einfluß der „Kohlefraktion“ in der Partei leugnen, noch, daß zwei der vier Stadt-Dezernenten das rote, die anderen beiden das schwarze Parteibuch haben.

Die Vorurteile So, wie sich die Grünen am „roten Filz“ aufhängen, arbeiten sich die Sozis am „grünen Fundamentalismus“ ab. Nicht nur der geschaßte SPD-Bürgermeister Friedhelm Fragemann hängt dem alten Vorurteil an: „Die Grünen sind fundamentalistisch- naiv.“ Doch das können weder politische Beobachter in Dorsten bestätigen, noch läßt es sich durch Fakten belegen. Die Grünen haben mit den Genossen nicht nur einige Straßenbauprojekte verhindert, verkehrsberuhigte Zonen eingeführt, ein Umweltamt und eine Verbraucherzentrale eingeführt, sondern sich auch für die Zeche stark gemacht. Eine Kompromißbereitschaft, die viel mit regionalen Sachzwängen und nichts mit ökologischer Überzeugung zu tun hat. „Die Grünen“, meint Bürgermeister Zahn, „haben nie Fundamentalopposition betrieben, sondern sich im Tagesgeschäft immer konstruktiv verhalten. Außerdem sind sie erfrischend unbefangen an die Politik herangegangen.“

Die Tradition Diese Unbefangenheit scheint ein Knackpunkt der rot-grünen Beziehung zu sein. Die SPDler, die in Dorsten das Sagen haben, sind traditionelle Genossen; sie haben das Parteibuch meist schon vom Vater geerbt und träumen noch von der alten Arbeiterpartei. Seit Jahren fechten sie intern einen erbitterten Kampf aus: „Kohlefraktion“ gegen „Lehrer-Mafia“ (SPD-Jargon). Und wie die Intellektuellen in den eigenen Reihen, betrachten sie auch die Grünen leicht verächtlich als „Vertreter des Mittelstands“. Zwar besteht die SPD – wie auch die Grünen – zum großen Teil aus Angestellten und Lehrern. Doch die Bergleute-Lobby setzt sich immer wieder durch. Von Sozialdemokratie bleibt da nicht sehr viel übrig. „Die SPD in Dorsten war immer sehr CDU-ähnlich“, stellt Bürgermeister Zahn fest, „das betrifft sowohl die Kohle und Energiepoltik, als auch die Wirtschafts- und Industriefreundlichkeit“.

Gegen diesen konservativen Block rennen die Grünen seit elf Jahren an. Leicht resigniert stellt die Fraktionsvorsitzende Susanne Fraund fest: „Die SPD ist ein Betonklotz, an dem man rütteln und schütteln kann, es bewegt sich nichts.“ Doch die SPD scheint darauf auch noch stolz zu sein. Friedhelm Fragemann: „Wir können mit unseren 45 Prozent doch nicht hinter deren paar Prozent herrennen." Aber dann wird der Brass, den die Roten schieben, deutlich: „Es ärgert mich wahnsinnig, daß eine Handvoll Grüner das Zünglein an der Waage spielen kann.“

So erscheint das zerrüttete rot- grüne Verhältnis in Dorsten letztlich wie ein Abklatsch aus dem berühmten Comic: Die Grünen stilisieren sich gern zum kleinen, aufrechten Haufen im gallischen Dorf, das von den Römern umzingelt ist. Und die Sozialdemokraten können es wie die Römer nicht verwinden, daß dieser kleine Haufen Widerstand leistet und ihnen sogar mal eins auf die Mütze gibt.

Eine Grüne über die Grünen:

„Widerborstig, hoffnungsvoll, genußsüchtig.“

Ein Sozialdemokrat über die Sozialdemokraten:

„Lebendig, teilinteressenverhaftet, streitlustig.“