Serben erklären UNO den Krieg

■ Blauhelme als Geiseln genommen / Zweiter Nato-Angriff nach serbischem Massaker in Tuzla

Sarajevo/Zagreb (rtr/AFP/taz) – Eskalation der Gewalt mit ungewissem Ausgang: Nachdem Nato-Kampfflugzeuge gestern vormittag erneut Bomben auf das bereits am Donnerstag angegriffene Munitionsdepot der bosnischen Serben bei Pale warfen, setzten die serbischen Truppen UNO-Soldaten als Geiseln fest. Der zweite Nato-Bombenabwurf war die Reaktion auf heftige serbische Angriffe auf bosnische Städte in der Nacht, bei denen unter anderem in Tuzla 72 Menschen ums Leben kamen.

Im bosnisch-serbischen Fernsehen waren gestern nachmittag Bilder von drei UNO-Offizieren zu sehen, die dem Sender zufolge an ein Gebäude im weitläufigen, zweimal von der Nato bombardierten Munitionsdepot-Gelände in Pale gefesselt waren. Das UN-Hauptquartier in Sarajevo bestätigte, den Kontakt zu den dreien – einem Kanadier, einem Russen und einem Tschechen – verloren zu haben. Nach UN- Berichten haben die bosnischen Serben mindestens neun UN-Soldaten festgenommen. Rund 100 Blauhelme, so die Nato – die UNO spricht von 150 – werden seit der Nacht zum Freitag von serbischen Soldaten in den Waffenlagern blockiert, die rings um Sarajevo von der UNO kontrolliert werden und aus denen die Serben wiederholt schwere Waffen entwendet haben. Die Blockade ist faktisch eine Geiselnahme. Die bosnischen Serben drohten zugleich mit der Tötung von UN-Militärbeobachtern, von denen nach UN-Angaben in den von Serben gehaltenen Regionen Bosniens 48 tätig sind.

Nach dem ersten Nato-Angriff auf Pale am Donnerstag hatte das bosnisch-serbische Kommando erklärt, die Nato habe sich auf die Seite der bosnischen Regierung gestellt. Man werde nun die UNO als Feind behandeln. In der Nacht zum Freitag folgten Angriffe auf alle UN-Schutzzonen in Bosnien mit Ausnahme von Zepa. Der schwerste Angriff, in Tuzla, war die blutigste serbische Einzelaktion seit Beginn des Krieges: Nach UN-Angaben schlug eine Splitterbombe vor einem vollbesetzten Café ein und richtete ein Blutbad an, bei dem 72 Menschen starben. Außerdem starben in Sarajevo zwei, in Goražde vier Menschen.

Als Antwort darauf flog die Nato gestern vormittag ihren zweiten Angriff auf das serbische Munitionsgelände bei Pale. Während die Nato wie auch bei dem Luftangriff vom Donnerstag betonte, es habe jeweils einen Angriff gegeben und das Munitionsgelände liege in einem unbewohnten Tal, sprachen Augenzeugen von Explosionen und Verletzten in Pale. Es blieb unklar, ob diese von der Nato verursacht worden waren. Die Serben meldeten ebenfalls den Abschuß eines Nato-Flugzeugs, während die Nato erklärte, es habe kein Flugabwehrfeuer gegeben. Weitere Luftangriffe gab es gestern zunächst nicht, obwohl ein zweites von der UNO gesetztes Ultimatum gestern von den Serben nicht befolgt wurde. Darin hatte die UNO die bosnischen Kriegsparteien aufgefordert, bis zum Mittag ihre schweren Waffen aus einem 20-Kilometer-Umkreis von Sarajevo abzuziehen. Seiten 2 und 10