Bei Ehekrieg hilft auch kein Computer

Computereinsatz am neuen Kreuzberger Familiengericht spart Zeit, ersetzt aber nicht die Einigung im Streitfall / Die „Fünf-Minuten-Scheidung“ zum Billigtarif bleibt eine Illusion  ■ Von Jutta Geray

Die Scheidung „per Computer“ ist kein Bild aus ferner Zukunft, sondern am neuen Familiengericht in Kreuzberg seit wenigen Wochen bereits Realität. Die Protokollführerin sitzt nun nicht mehr mit gespitztem Bleistift oder der Schreibmaschine in der Verhandlung, sondern hinterm Computer, der innerhalb weniger Minuten ein fertiges Urteil ausdruckt.

Ist nun die Scheidung nur noch eine Sache von fünf Minuten? Rudolf Vossenkämper, einer von drei „EDV-Richtern“ in Kreuzberg, wehrt sich gegen das Bild einer „Fünf-Minuten-Terrine“ oder gar einer „Blitzscheidung“. Hierbei handele es sich vor allem um eine Modernisierung der Arbeitsweisen im Gericht, der Computer ersetze jedoch weder die mündliche Verhandlung noch die Beratung mit Rechtsanwälten, noch die Einigung der Scheidungswilligen im Streitfall oder gar die Urteilsfindung durch den Richter. Nur bei einvernehmlichen Scheidungen kann das Verfahren im Gericht eine Sache von Minuten sein. Insbesondere wenn Frauen bereits von einem anderen Partner schwanger seien und schnell wieder heiraten wollten, bemühe sich das Gericht um eine unbürokratische Abwicklung.

Nach wie vor müßten aber Fragen der Unterhaltspflicht und des Sorgerechts bei gemeinsamen Kindern geklärt werden, ebenso ob nachehelicher Versorgungsausgleich gezahlt werden soll sowie die Frage, wer in der ehelichen Wohnung bleibt und wer die Ledergarnitur mitnehmen darf. Und je strittiger der Fall ist, desto länger dauert auch das Verfahren.

Das Computersystem, das derzeit in Kreuzberg im Pilotprojekt getestet wird, erleichtert vor allem den Gerichtsmitarbeitern die bürokratische Arbeit.

In der täglichen Praxis laufen alle schriftlichen Arbeitsschritte vom Brief an den Rechtsanwalt über die Berechnung der Versorgungsansprüche bis zum fertigen Urteil über ein vernetztes Computersystem mit spezieller juristischer Software. Doppelte Schreibarbeiten, komplizierte Berechnungen mit dem Taschenrechner und langes Nachschlagen in Tabellen und Fachliteratur fallen weg, da die wichtigsten Daten, Präzidenzfälle und geläufige Standardurteile oder einzelne Formulierungen, die immer wieder vorkommen, gespeichert sind und an jedem Arbeitsplatz und Sitzungssaal im Gericht abgerufen werden können.

Eine Bilanz, wieviel Zeit und Arbeit das neue System tatsächlich einspart, kann Vossenkämper noch nicht ziehen; seit dem Umzug des Familiengerichts Anfang März in die modernen, computergerüsteten Räume am Halleschen Ufer wurde erst ein Drittel der MitarbeiterInnen angelernt.

Insgesamt stehen für die rund 225 Beschäftigten 227 vernetzte Computer bereit, sagt Richter Vossenkämper, der als einer von drei „EDV-Richtern“ im Familiengericht maßgeblich an der Einrichtung des Systems und der Weiterentwicklung vorhandener juristischer Software beteiligt war.

Zu Verfahrensbeginn werden alle Daten und Informationen eingespeichert. Dazu gehören das Datum der Eheschließung und des Scheidungsantrages, Adressen der Anwälte, die Kinderanzahl, wer das Sorgerecht der Kinder beansprucht, die Versicherungsdaten. Die juristische Software berechnet je nach Bedarf die Höhe des Versorgungsanspruchs oder die der Unterhaltszahlung innerhalb weniger Minuten. „Dazu würden Mitarbeiter mit Taschenrechner und Bleistift mehrere Stunden brauchen“, verdeutlicht Vossenkämper die Vorteile und demonstriert die einzelnen Schritte am Computer. Bereits formulierte und gespeicherte Urteilsabschnitte werden einfach angeklickt und in das Urteil eingefügt, können aber individuell verändert werden.

Durch die Zeiteinsparung würden Kanzleien und Gerichte entlastet und hätten mehr Zeit, sich um die komplizierteren Streitfälle zu kümmern, beispielsweise Scheidungsanträge mit Vorwürfen von Mißbrauch oder physischer Gewalt in der Ehe.

Das ist für Vossenkämper der größte Pluspunkt des neuen Systems. Doch billiger wird eine Scheidung mit dem Computer nicht. Weiterhin gelte der Streitwert als Berechnungsgrundlage, nicht aber Personal- und Arbeitszeitkosten, dämpfte Vossenkämper die Hoffnung auf Sonderpreise.