Scotland Yard ist dümmer, als die Polizei erlaubt Von Ralf Sotscheck

Der 55jährige Tony Williams, der seit 1959 bei Scotland Yard in London arbeitete, galt als Inbegriff von Tugend und Rechtschaffenheit. Bis Mitte der achtziger Jahre war er das auch, doch nach seiner Scheidung geriet sein Konto wegen der Alimente in die roten Zahlen.

Sein Traum vom Häuschen im schottischen Hochland rückte immer weiter in die Ferne. Die Gelegenheit, ihn doch noch zu verwirklichen, ergab sich 1986: Scotland Yard richtete einen Sonderfonds für streng geheime Operationen ein. Dazu gehörten die Anschaffung und der Unterhalt eines Aufklärungsflugzeuges, mit dem IRA- Waffenlager ausgespäht werden sollten. Mit der Verwaltung des Fonds betraute man ausgerechnet Tony Williams. Der nahm sich davon zunächst 6.000 Pfund – umgerechnet 15.000 Mark – für ein kleines Cottage in Tomintoul, dem höchsten Dorf der Highlands.

Weil das niemand merkte, wurde er waghalsiger. Er eröffnete Konten in Schottland und London, auf Jersey und bei Coutts, der Bank der Königin. Die Geldinstitute überhäuften ihn mit goldenen Kreditkarten, und Williams geriet in eine Art Kaufrausch: Er renovierte das Cottage für 400.000 Pfund, erstand ein Haus im vornehmen New Malden südlich von London, zwei weitere in Leatherhead und Haslemere in Surrey, eine Villa an der Costa del Sol und einen Landrover für seine Besitztümer in Tomintoul. Zu denen waren inzwischen zwei Hotels, ein Restaurant und ein weiteres Cottage hinzugekommen. In der Londoner Innenstadt mietete Williams eine Luxuswohnung für 5.000 Mark im Monat, die er der Einfachheit halber per Dauerauftrag vom Scotland-Yard-Konto überwies.

Zu seiner eigenen Verblüffung kam ihm noch immer niemand auf die Schliche, so daß er nun alle Hemmungen verlor: Williams kaufte für 60.000 Pfund einen Adelstitel und hieß fortan Lord Williams von Chirnside. Das gefiel ihm so gut, daß er sich acht weitere Titel für 150.000 Pfund zulegte. In Tomintoul, wo er stets im Schottenrock herumlief, gründete er das Unternehmen „Tomintoul Enterprises“, investierte drei Millionen Pfund in den Ort und sponserte die traditionellen Highland Games. Die Sache flog erst auf, als eine Bank ihm die Geschichte mit dem reichen Onkel aus Norwegen nicht mehr abkaufte und Scotland Yard verständigte.

Die Kollegen erblaßten, als sie die Konten verglichen: Insgesamt hatte Williams von den sieben Millionen Pfund, die in den acht Jahren durch den Geheimfonds gelaufen waren, mehr als fünf Millionen für den eigenen Gebrauch abgezweigt. In Tomintoul lassen die Leute jedoch nichts auf ihren Lord kommen: Sie sehen das geklaute Geld als eine Art von staatlicher Subvention, die im schottischen Hochland allemal besser angelegt sei als bei Scotland Yard. Der Chef der örtlichen Brauerei hat Williams zu Ehren ein Festbier gebraut: „Laird of Tomintoul“, sechs Prozent Alkohol. Der Namensgeber wird das Faß allerdings erst in siebeneinhalb Jahren anstechen können. So lange muß er nämlich hinter Gitter. Wo er die Strafe absitzen wird, ist dagegen unklar: Schließlich kennt niemand die geheimen Polizeiaktivitäten besser als Williams, und man möchte nicht, daß er sein Wissen mit seinen Zellennachbarn teilt.