■ Vorbild Tschernobyl
: Mit Gas aus dem Atomdilemma

Man muß Percy Barnevik, dem umtriebigen Chef des schwedisch-schweizerischen Maschinenbaukonzerns ABB, gratulieren. Dem osterfahrenen Manager ist es offenbar gelungen, der ukrainischen Regierung endlich eine nicht-atomare Lösung für Tschernobyl zu verkaufen. Woran Legionen von westlichen Atomkritikern, Weltbank-Experten und zuletzt auch westliche Regierungen herumlaborierten, Barnevik macht's möglich. Tschernobyl soll durch ein Gaskraftwerk ersetzt werden. Wenn aus dem „memorandum of understanding“, das Barnevik und die ukrainische Regierung unterzeichneten, Realität werden sollte, kann man nicht mehr mäkeln. Es ist dann schon fast egal, daß die Ukraine Tschernobyl auch einfach einsparen könnte, so viel Energie wird dort unnütz verbraten.

Denn wenn die Ukrainer die Katastrophenmeiler am Dnjepr endlich vom Netz nehmen, beseitigt das nicht nur eine Gefahr für ihr Leben und für ganz Europa. Ganz nebenher ist das Projekt Tschernobyl auch ein vielversprechendes Angebot für den Umbau der gesamten postsowjetischen Stromwirtschaft. Seht her, ihr Russen: Mit euren gigantischen Gasreserven könnt ihr schnell die maroden Atommeiler ersetzen, moderne Technologie ins Haus holen und das Ganze auch noch vom Westen bezuschussen lassen. Ein neues Gaskraftwerk ist sicherer, billiger und macht weniger Ärger mit den Nachbarn. Das praktische Projekt in Tschernobyl wäre ein viel wirkungsvolleres Argument als jene berühmte Weltbankstudie, die den Russen schon vor zwei Jahren zur Gas-Strategie riet.

Aber das geplante Geschäft in Tschernobyl wird auch im Westen Folgen haben. Barnevik dreht der französischen, amerikanischen und deutschen Kraftwerks-Konkurrenz eine Nase. Siemens, Westinghouse und vor allem Framatome, die immer noch auf die atomare Nachrüstung in Osteuropa schielen, sollten den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen. Der Ersatz der 4 Reaktoren vom Typ Tschernobyl in Sosnowi Bor vor den Türen von St. Petersburg beispielsweise wäre den Einsatz wert. Insgesamt 12 RBMK- Meiler laufen noch in Rußland, und auch die anderen russischen Atomkraftwerke sind gefährlich genug, um sofortigen Ersatz zu verlangen.

Besonderes Augenmerk verdient die Entwicklung beim Münchener Siemens-Konzern. Die Plutoniumfabrik in Hanau fährt vor die Wand, bei Siemens/ KWU in Erlangen hat man gerade die zukunftsträchtigen Solar-Sparten an einen anderen Konzernteil verloren. Wird jetzt der neue Ostmarkt auch noch verschlafen, läutet wohl endgültig das Totenglöckchen.

Meine Herren: Auch wenn es Ihnen schwerfällt, der neue Frühling der Atomkraft im Osten ist vorbei. Hermann-Josef Tenhagen