Tschernobyl in drei Jahren abgestellt?

■ Ukrainische Regierung und multinationales Konsortium einigen sich auf Sechs-Milliarden-Mark-Projekt / Gaskraftwerk soll die Atommeiler ersetzen

Stockholm (taz) – In drei Jahren sollen die Tschernobyl-Reaktoren abgestellt sein, bis 1999 sollen die strahlenden Überreste der bislang größten nuklearen Katastrophe unter einem neuen Betonsarkophag verschwunden sein. Wenn die Pläne finanziert werden können, die am Samstag der ukrainische Vizepremierminister Serhiy Osyka und der Chef des schwedisch-schweizerischen Energiemultis ABB, Percy Barnevik, unterschrieben.

Das Projekt: Ein neues Gaskraftwerk, 100 Kilometer von Tschernobyl entfernt, soll die fünf Prozent der ukrainischen Elektrizitätserzeugung ersetzen, für die derzeit die Tschernobyl-Reaktoren noch stehen. Die Pläne, die von einem internationalen Firmenkonsortium – aus Deutschland ist Mannesmann beteiligt – unter Führung von ABB verwirklicht werden sollen, sind reif zur unmittelbaren Umsetzung. Bis auf einen Punkt: die Finanzierung.

Doch ABB-Chef Percy Barnevik gab sich bei der Rückkehr aus Kiew in Stockholm optimistisch: „Nach neun Jahren Gerede werden wir das verdammte Ding dichtmachen. Es wäre nun die allergrößte Kurzsichtigkeit, falls sich die Politiker nicht auf die Finanzierung einigen könnten. Wenn es irgendwann mal notwendig war, dann dafür.“ Barnevik begründete dies mit „dem absolut katastrophalen Zustand“, in dem sich das ukrainische AKW befinde.

Der jetzige Sarkophag über den Resten des vierten Reaktors bekomme ständig neue Risse und sinke immer tiefer in die Erde. Dadurch habe sich auch der danebenliegende dritte Reaktor bereits geneigt, was das akute Risiko für eine Explosion verstärkt habe. Der zweite Reaktor sei wegen eines Brandes derzeit abgestellt, und Reaktor Nummer eins, der älteste und betriebsunsicherste, laufe auf vollen Touren. Barnevik: „Tschernobyl birgt nicht nur die permanente Gefahr einer Nuklearkatastrophe, sondern ist auch ein Hemmschuh für die weitere Entwicklung der Ukraine.“

Umgerechnet sechs Milliarden Mark sollen für den Tschernobyl- Ersatz investiert werden; ein Drittel in den Versuch eines neuen Sarkophags über den ausgedienten Reaktoren und zwei Drittel in das Gaskraftwerk. Die erste Gasturbine könne – verspricht Barnevik – bereits in 24 Monaten Strom liefern. Für ABB, AKW-Produzent, aber auch weltweit führender Hersteller von Gaskraftwerken, wäre eine Verwirklichung des Projekts gleich unter doppeltem Gesichtspunkt von Interesse: man könnte mit einer neuen Musteranlage glänzen und hätte gleichzeitig das Problem Tschernobyl vom Tisch geräumt.

Der entscheidende Versuch, die Finanzierung zu sichern, soll jetzt auf dem nächsten Treffen der G-7-Länder im kanadischen Halifax im Juni stattfinden, bei dem Percy Barnevik die Tschernobyl- Pläne persönlich präsentieren will. Bislang haben die G-7-Länder lediglich 1,3 Milliarden Mark für eine Tschernobyl-Sanierung versprochen. Atompapst Barnevik – eine Abschaltung westlicher Reaktoren hält er nach wie vor für „ökonomischen Wahnsinn“ – scheut sich nicht, dafür mit einem neuen möglichen Tschernobyl Stimmung zu machen: „Wenn wir uns nicht beeilen, kann dort ganz klar bald eine neue Katastrophe eintreten.“ Reinhard Wolff

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