Im Juni lassen alle das Auto stehen

■ Friedrichshain startet „Autofreien Monat“ / Umsteigen auf Bus und Bahnen gefordert / BVG will öfter fahren

Der Monat Juni soll im Bezirk Friedrichshain zum Monat der totalen Demobilisierung des privaten Kraftfahrzeugs werden. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des kleinsten Berliner Stadtbezirks beschloß auf Antrag der Fraktion Bündnis Friedrichshain, den „Juni 1995 als autofreien Monat zu initiieren“. Autos sollen in der Garage und Motorräder im Keller bleiben. Statt dessen wird den Bürgern empfohlen, kurze Strecken zu Fuß und längere Wege mit dem Rad, dem Bus oder mit der U-Bahn zurückzulegen. Es komme bei dem „autofreien Monat auf Freiwilligkeit“ darauf an, durch den langen Zeitraum Kraftfahrern die „Alternative öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ständig in die Erinnerung zu rufen“, sagte gestern Umweltstadtrat Dieter Hildebrandt.

Nicht ohne Grund will der Bezirk die Autonarren einen ganzen Monat lang als Fieslinge ärgern. Die Statistik der Unfälle mit Personenschäden habe im Zeitraum von 1991 bis 1994 „dramatisch zugenommen“, so Planungsdezernentin Gutsche. Emissionsmessungen und Befragungen von Bürgern hätten ergeben, daß die immer größere Dichte des Verkehrs, die höheren Lärmbelästigungen und der Anstieg von Luftschadstoffen zu mehr Krankheiten führten. Darum müßten Friedrichshain entlastet und LKWs von den Durchgangsstraßen ferngehalten werden.

Während des einmonatigen Experiments finden Bürgerforen und Diskussionen statt. Gutsche: „Ein Straßenfest zu veranstalten wäre sicher besser gewesen, aber dazu reicht die knappe Zeit nicht aus.“ Trotz der kurzen Vorbereitungsphase bis zum Start am 6. Juni sollen alle Friedrichshainer informiert werden. Im Unterschied zu den fehlgeschlagenen „autofreien Sonntagen“, die der Senat ohne rechte Durchschlagskraft inszenierte, würden die Bürger des Bezirks mit Flugblättern, Postwurfsendungen und Aushängen benachrichtigt. Bezirksinitiativen wie der ADFC starteten mit durch.

Außerdem verbinde der Bezirk mit der Aktion Forderungen an die Verkehrsverwaltung und die BVG. Beispielsweise müsse der ÖPNV durch kostengünstigere Fahrpreise am Wochenende kundenfreundlicher gestaltet werden, erklärte Hildebrandt. Zudem sei für eine bessere „territoriale Erschließung“ durch den Einsatz von mehr Fahrzeugen zu sorgen. Hildebrandt weiß um die Schwierigkeiten, das Auto stehen zu lassen, hofft aber auf Resonanz bei den Autofahrern. „Ich hoffe, daß sich Gruppen finden, den Versuch mitzumachen.“ Der „autofreie Monat“ soll ausgewertet werden.

Im Unterschied zur BVG, die die autofreien Tage gutheißt und bei „großer Resonanz einen höheren Takt“ fahren würde, lehnt Karl Hennig, Leitungsreferent in der Senatsverwaltung für Verkehr, die Aktion ab. Ein autofreier Monat sei „überzogen und fernab jeder Realität“, sagte Hennig. Der Wirtschaftsverkehr müsse in die Bezirksstraßen hineinfahren können. Hennig: „Die können doch schlecht ihre Waren dorthin zu Fuß transportieren.“ Außerdem sei es das Ziel der Senatsverkehrsverwaltung, das „marode“ Verkehrsnetz der Ostberliner Straßen und Schienen in Stand zu bringen. Rolf Lautenschläger