Major ratlos vor den „Barbaren“

■ Die britische Truppenentsendung Richtung Bosnien kaschiert nur notdürftig ein Dilemma, das auch die UNO insgesamt lähmt: Wenn die Blauhelmsoldaten sich verteidigen dürfen, werden sie zur Kriegspartei

Genf/Dublin (taz) – Wird Großbritannien mit einer Militäraktion die 33 britischen UN-Soldaten befreien, die bosnische Serben am Sonntag in Goražde festgenommen haben? Die Londoner Ankündigung, Tausende Soldaten Richtung Balkan in Marsch zu setzen, ist Ausdruck einer Krisenstimmung, in der jedoch mehr Ratlosigkeit als Entschlossenheit herrscht. Premierminister John Major hat für morgen eine Sondersitzung des Unterhauses einberufen und einen Rückzug des 3.380 Mann starken britischen Blauhelmkontingents zumindest für die nahe Zukunft ausgeschlossen; eine ganze Reihe einflußreicher Tory- Hinterbänkler ist jedoch anderer Meinung und will die britischen Soldaten lieber heute als morgen nach Hause holen. Dem widersprach wiederum Robin Cook, außenpolitischer Sprecher der Labour Party: Er sagte, man müsse die „Anführer der bosnischen Serben für jede Verletzung von UN- Soldaten persönlich haftbar“ machen, und meinte: „Die britischen Truppen sollen in Bosnien bleiben, bis die Kommandanten dort sagen, daß das Risiko zu groß ist.“ Zwischen diesen beiden Auffassungen bewegt sich Paddy Ashdown, Ex- Soldat und Vorsitzender der Liberalen Demokraten. Er bezeichnete die Gefangennahme der UN-Soldaten als „barbarisch und nicht hinzunehmen“, meinte jedoch, die Offiziere vor Ort müßten entscheiden, „was jetzt möglich und notwendig“ sei.

Eindeutigeres Handeln wird dadurch erschwert, daß es in London, Paris, Washington und Moskau – und damit im UNO-Sicherheitsrat – keine gemeinsame Vorstellung über die Zukunft der UNO-Mission in Bosnien gibt. Die Unzufriedenheit darüber ist bei den Blauhelmen und ihren Kommandeuren inzwischen so groß, daß ihr oberster Zivilchef Yasushi Akashi seinen Vorgesetzten UNO-Generalsekretär Butros Ghali gestern aufforderte, „innerhalb von 24 Stunden“ ein schlüssiges Konzept vorzulegen. Akashi wird kaum eine befriedigende Antwort erhalten.

Diskutiert werden bislang vor allem die zahlenmäßige Verstärkung der derzeit 22.470 Unprofor- Soldaten in Bosnien, ihre bessere Ausrüstung mit schweren Waffen und gepanzerten Fahrzeugen sowie die Veränderung ihres Mandats in die Richtung, daß sie bei einer Bedrohung auch als erste das Feuer eröffnen dürfen, was bisher nicht erlaubt war. Allerdings hätten sich UNO-Soldaten schon auf der Basis des bisherigen Mandats oft „robuster“ einsetzen oder von der Waffe Gebrauch machen können – zum Beispiel bei der Durchsetzung humanitärer Hilfskonvois gegen serbische Blockaden oder beim Schutz von Waffendepots. Noch bis April dieses Jahres wurde das von den zumeist britischen oder französischen Oberkommandierenden der Unprofor auch aus politischen Gründen nicht angeordnet.

Da eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten die Gefahr einer Verwicklung in Kampfhandlungen vergrößert, diskutieren Frankreich, Großbritannien und Kanada zugleich eine „Umgruppierung“, die dem „besseren Schutz der Blauhelme“ dienen soll. Gemeint ist damit ein Rückzug der Blauhelme aus den konfliktträchtigeren und isolierteren Regionen Bosniens – ein Szenario der UNO- Abteilung für Friedensmissionen sieht den völligen Abzug aus den ostbosnischen Enklaven Goražde, Srebrenica und Zepa vor. Für die anderen drei „UNO-Sicherheitszonen“ Tuzla, Bihać und die Hauptstadt Sarajevo ist zumindest an den Rückzug aus besonders gefährdeten Positionen und Stadtteilen gedacht.

Damit würde die UNO-Truppe aber auch noch den Rest ihrer Schutzfunktion für die Zivilbevölkerung aufgeben – paradoxes Ergebnis eines Willens, die Handlungsmöglichkeiten der Blauhelme zu vergrößern. Die UNO- Abteilung für Friedensmissionen rechnet ebenso wie die Regierungen in London, Paris, Washington oder Bonn damit, daß die drei ostbosnischen Enklaven nach einem Abzug der Unprofor bald von den serbischen Belagerungstruppen eingenommen werden und die dort noch lebenden knapp 200.000 Muslime vertrieben oder massakriert werden. Allerdings wird diese für die UNO höchst peinliche Einschätzung bisher nur hinter vorgehaltener Hand verbreitet. Andreas Zumach,

Ralf Sotscheck