Flimmernde Mosaike vor den Gesichtern

Mehr als 170 französische Blauhelmsoldaten in Bosnien sind in serbischer Geiselhaft / Im Elysée-Palast herrscht Krisenstimmung / Ein Flugzeugträger ist auf dem Weg in die Adria  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Das Farbfoto zeigt eine Gruppe französischer Soldaten mit hinter dem Kopf verschränkten Händen. Ihre Gesichter sind jugendlich weich, ein junger Mann hat die Augen beinahe verschlossen, ein anderer hat sie niedergeschlagen. Sie tragen Uniform, sie sind unbewaffnet und – sie befinden sich seit Samstag in serbischer Gewalt. Die Aufnahme, die die Ohnmacht der Großmächte in Bosnien deutlicher macht als alles zuvor Gesehene, war das letzte Geiselbild, das die französische Öffentlichkeit komplett zu sehen bekam. Seit Montag verfremden die Medien die Gesichter der gefangenen Blauhelmsoldaten. Über die Propagandabilder der bosnischen Serben, die aneinandergekettete Geiseln zeigen, blenden sie flimmernde Mosaike oder große schwarze Flecken. „Aus Respekt vor den Familien und auf Wunsch der Armee“, wie die Fernsehsprecher betonen.

Mehr als 170 der über 4.500 in Bosnien stationierten französischen Blauhelme waren gestern morgen Geiseln der bosnischen Serben. Zahlreiches französisches Militärmaterial fiel in die Hände bosnischer Serben – zuletzt nahmen sie sich gestern morgen 16 gepanzerte Wagen der Franzosen, mit denen sie jetzt um Sarajevo herumfahren. Bereits 36 französische Blauhelme kamen seit Beginn des UNO-Einsatzes ums Leben. Die Leichen der beiden letzten von ihnen liegen seit gestern morgen in einer Kühlkammer auf dem Flughafen von Sarajevo, auf dem seit einer Woche keine Maschine mehr gestartet und gelandet ist. Sobald die serbischen Milizen dies zulassen, werden die beiden Särge nach Frankreich zurückgeführt – zu einer würdevollen Beerdigung mit posthumer Ordensverleihung. Gestern morgen, bei der militärischen Abschiedszeremonie am Flughafen von Sarajevo, erinnerte der Kommandant für den Sektor Sarajevo seine Soldaten an den Kampf für die „modernen Demokratien“.

Kein Teilnehmerland der UNO-Blauhelmtruppe hat so viele Soldaten nach Ex-Jugoslawien geschickt wie Frankreich. Kein anderes Land hat derart hohe Verluste zu beklagen. „Niemand hat so viel für die Wiederherstellung des Friedens getan wie Frankreich“, sagte der neue Premierminister und bisherige Außenminister Alain Juppé bei seinem Amtsantritt vor einer Woche.

Seit Monaten wird in Paris die Drohung mit dem Abzug der französischen Soldaten wiederholt. Auch der vor drei Wochen gewählte Staatschef Jacques Chirac hatte sie während seines Wahlkampfes benutzt. Doch seit dem Wochenende kommen andere Töne aus dem Elysée-Palast. Chirac drängte auf die eilige Sondersitzung der Kontaktgruppe, wo sein Land die personelle und materielle Verstärkung der UNO-Truppen, eine Verlagerung der Blauhelme – weg von den besonders gefährdeten isolierten Punkten in Bosnien – und eine schnelle internationale Eingreiftruppe verlangte. In der Nacht von Montag auf Dienstag konnte Frankreich sich in Den Haag mit diesen Vorschlägen durchsetzen. Von dem Mittelmeerhafen Toulon setzte sich gleichzeitig der Flugzeugträger „Foch“ Richtung Adria in Bewegung.

Laut Gerüchten, die in Paris nicht bestätigt werden, sollen sich auf seinen Begleitschiffen Mitglieder französischer Eliteeinheiten befinden, die notfalls bei der Geiselbefreiung eingesetzt werden können. Zusammen mit Premierminister Juppé und einigen Kabinettsmitgliedern hat Chirac bereits mehrere Krisensitzungen abgehalten. Und heute wird das Parlament über Bosnien debattieren.

Schlagartig ist Ex-Jugoslawien zum Spitzenthema französischer Politik geworden. Dabei herrscht eine seltsame Ruhe im Land. Selbst Soldatenfrauen sprechen in Interviews von „Vertrauen in unsere Kräfte in Bosnien“. Nur gelegentlich erinnert jemand an deren unmögliche Mission vor Ort. So erzählte die Gattin eines in Sarajevo verletzten Soldaten, der bereits „Gabun, Ruanda und Dschibuti gemacht hat“, einem Reporter, ihr Mann habe vor dem Einsatz in Bosnien die Sorge gehabt, daß er sich nicht „wie ein echter Soldat“ verhalten dürfe.