Bundeswehr probt den Ernstfall

■ Falls die UNO aus Bosnien abzieht, sollen deutsche Soldaten bei der Deckung helfen

Bonn/Sarajevo (taz/rtr/AP) – Die Bundeswehr bereitet sich auf ihren ersten Krieg vor: Ihre Verbände trainieren seit gestern verstärkt für den Fall, daß die UNO ihre Truppen aus Bosnien abzieht. In diesem Fall sollen 2.000 Bundeswehrsoldaten den Abzug decken. Vorausgegangen war ein Beschluß des Bundeskabinetts, die Einsatzbereitschaft der Verbände zu erhöhen, die einen Abzug der Blauhelme unterstützen müßten. Die Minister kamen damit einer zwei Wochen alten Bitte des Nato-Oberbefehlshabers an die Verbündeten nach. Der Bundestag wird über diesen Schritt zur Vorbereitung eines deutschen Out-of-area-Einsatzes diese Woche noch nicht abstimmen.

SPD-Chef Rudolf Scharping bekräftigte, seine Partei werde einer deutschen Teilnahme im Falle eines UN-Abzugs zustimmen. Die Fraktion der Bündnisgrünen hat noch keine einheitliche Haltung zu einem deutschen Einsatz gebildet, wie der Bundestagsabgeordnete Helmut Lippelt gestern der taz sagte. Für den Fall, daß ein Abzug wahrscheinlich wird, erwartet Lippelt „eine kontroverse und heftigste Debatte“. Vorstandssprecher Jürgen Trittin hatte zuvor erklärt, er sehe für die Grünen keinen Anlaß, ihre ablehnende Haltung zu ändern: „Ein Eingriff Deutschlands wäre ein eskalierendes Moment.“ Ein Abzug der UN-Streitkräfte aus Bosnien gilt gegenwärtig jedoch als unwahrscheinlich. Bundeskanzler Helmut Kohl und Verteidigungsminister Volker Rühe sprachen sich gestern dafür aus, daß die UN-Soldaten in Bosnien stationiert bleiben. Notwendig sei eine Stärkung des Mandats der Blauhelme, um sie besser zu schützen.

Bundesaußenminister Klaus Kinkel äußerte sich am Rande der Nato-Tagung im niederländischen Noordwijk zu Bosnien. Die Freilassung der von den bosnischen Serben als Geiseln festgehaltenen UN- Blauhelme habe für die Nato zur Zeit oberste Priorität. Wenn weitere militärische Schläge der Nato auch nicht ausgeschlossen würden, so seien sich die 16 Außenminister doch einig: „Eine militärische Lösung kann und darf nicht der Weg sein.“ Die USA schließen nicht aus, daß eine Elitetruppe der Nato die rund 400 Blauhelme gewaltsam befreien wird. Dies sagte Außenamtssprecher Mike McCurry gestern nachmittag in Washington. Er fügte aber hinzu, eine Entscheidung über die Teilnahme von US-Truppen an etwaigen Bodenkämpfen sei noch nicht gefallen.

Den bosnischen Serben gelang es gestern, weitere sieben UN-Soldaten in ihre Gewalt zu bringen. Freigelassen wurden 25 russische sowie sechs französische Geiseln, die in der Nähe von Sarajevo festgehalten worden waren. Gleichzeitig teilten die Serben mit, daß die Blauhelme „Kriegsgefangene“ seien. Sie erneuerten dadurch ihren Vorwurf, daß die UNO inzwischen zur Kriegspartei geworden sei. mon Seiten 8 und 10