■ Urteil gegen zwei Ex-Geheimdienstoffiziere in Chile
: Sühne ohne großes Risiko

Chiles oberstes Gericht hat entschieden: Die beiden Offiziere, die den Mord an Ex-Außenminister Orlando Letelier zu verantworten haben, werden bestraft. Zum ersten Mal werden damit in Chile, fünf Jahre nach dem Abgang Pinochets, zwei der oberen Militärs für Verbrechen der Diktatur zur Verantwortung gezogen. Das ist gut so.

Aber das Urteil ist milde, es hinterläßt einen bitteren Beigeschmack und wirft ein Schlaglicht auf den Zustand der chilenischen Demokratie. Mehr als ein Politiker wurde in den Tagen vor der Urteilsverkündung gefragt, ob er im Falle einer Verurteilung Manuel Contreras' und Pedro Espinozas einen neuen Staatsstreich befürchte, und viele zögerten, bevor sie öffentlich beschwichtigten. Putschist Augusto Pinochet steht noch immer an der Spitze der Streitkräfte, die Verfassung der Diktatur sichert dem General noch immer Stimmenmehrheiten, wo Wahlergebnisse sie nicht hergeben, und die Armee entzieht sich nach wie vor jeglicher Kontrolle. Bezeichnenderweise ist das Amnestiegesetz, mit dem der General selbst die Verbrechen der ersten fünf Jahre der Diktatur außer Strafe stellen ließ, noch immer in Kraft.

So ist es kein Zufall, daß der Wunsch vieler Betroffener nach einer Bestrafung der Täter erstmals im Fall Letelier jetzt in Erfüllung zu gehen scheint. Erstens geht es bei den beiden Verurteilten um Offiziere der inzwischen aufgelösten DINA. Der Geheimdienst der Diktatur ist aber nicht dasselbe wie die Armee – zwischen beiden gab es vielmehr häufig schwere Konflikte. Außerdem geht es um einen Mord, der außerhalb der chilenischen Grenzen verübt wurde, noch dazu in den USA, die deshalb einen massiven Druck ausübten, um das Verfahren zu einem Abschluß zu bringen. Es ist durchaus möglich, daß auch die anderen „Auslandsmorde“ der DINA noch zu Verurteilungen führen, der Fall des 1975 in Rom ermordeten ehemaligen Vizepräsidenten Leighton etwa oder der des spanischen Diplomaten Soria, der 1978 in Santiago umgebracht wurde. Mit einer wirklichen politischen und juristischen Aufarbeitung der Militärdiktatur hat das jedoch nichts zu tun – die Ermordung und das „Verschwinden“ Tausender Menschen in den ersten Putschjahren bleibt ungesühnt.

Pinochets Truppe fühlt sich bis heute als Sieger, und das nicht zu Unrecht. Nahezu die gesamte politische Rechte teilt die Einschätzung, daß der Putsch notwendig war, um die Kommunisten zu vertreiben, die das Land ruinieren wollten. So dick war ja auch die Mehrheit nicht, die 1990 beim Referendum über den Verbleib Pinochets an der Regierung mit nein stimmte. Und die sieben Prozent Wirtschaftswachstum, die jeder chilenische Politiker binnen kürzester Redezeit im Munde führt, scheinen eine unangreifbare Bestätigung für das von den Militärs eingeführte neoliberale Modell – da kann man über manches hinwegsehen. Selbst rechtlich völlig folgenlose Auftritte wie in Argentinien, wo der oberste General Folter und Morde zugibt, sich entschuldigt und Fehler eingesteht, ohne dafür aber Konsequenzen befürchten zu müssen, sind in Chile immer noch völlig undenkbar. Bernd Pickert, Santiago de Chile