Schlaflos in Montana

■ Schießereien und andere Kleinigkeiten aus der Mitte von Nirgendwo: In seiner jüngsten "Novelle" erkundet Richard Ford Familienwerte

Das Unwichtigste zuerst: Auch wenn's der Verlag behauptet – eine Novelle ist Richard Fords „Eifersüchtig“ bestimmt nicht. Die Protagonisten müssen sich keineswegs mit der berühmten unerhörten Novellen-Begebenheit herumschlagen, und das, obwohl der Herr Autor sich als Höhepunkt eine fabelhafte Schießerei ausgedacht hat. Aber weder die obskure Tante Doris noch ihr Neffe Larry, der das ganze erzählt, fassen deswegen eine Pistole an. I wo! die gucken bloß zu und drücken den Bauch auf den Boden. Beteiligt sind sie nicht.

Trotzdem ist Tante Doris so etwas wie der Star der Geschichte. Daß sie mal ein Techtelmechtel mit Larrys Vater hatte und in Grunde fand, er habe die falsche Schwester geheiratet, liefert Gründe für den Titel.

Niemand muß allerdings annehmen, daß Richard Ford jetzt nichts besseres eingefallen ist, als ein ordinäres Dreieck auszumalen. Was diesen Teil der Geschichte angeht, passiert – nichts. Zwar wird ein bißchen Vergangenheit angedeutet – aber Geschichte zählt nicht. Die family values à la Ford beginnen mit Einlassungen eines Jungen, der seinen Vater preist: „Er war nie ein Mann gewesen, der einfach nur dastand und zusah, wie die Ereignisse ihn niederzwangen. Er war ein Mann, der handelte, ein Mann, dem es wichtig war, das Richtige zu tun“, behauptet Larry, als wolle er aus seinem Vater eine Westernfigur machen.

Die ganze Geschichte erzählt das Gegenteil: Nachdem seine Frau nach Seattle gezogen ist, wird der Vater auch noch vom Sohn verlassen, weil es allemal besser ist in in Seattle zu leben, als in einem hinterwäldlerischen Kaff in Montana. Don bildet sich gar nicht erst ein, daß Frau oder Sohn zurückkommen könnten. Zurückgezogen und ziemlich ratlos hat er sich darauf eingerichtet zu verlieren.

Das höchste der Gefühle ist, daß Don sich herausputzt, weil Doris fünf Minuten lang in der Einfahrt seines Hauses stehen wird. Als sie ihn einlädt, mitzukommen, lehnt er ab. „Man wird nicht ewig eingeladen, irgendwann geben die Leute auf“, kommentiert Doris und fährt ab. Doris, ganz Star, ist mit der Aufgabe betraut, Gefahr zu verbreiten, während sie Larry zu seiner Mutter nach Seattle begleitet; der Weg führt über Shelby, einem „unberechenbaren Ort“, wie Doris findet. Larry ist siebzehn und eines jener Fordschen Unschuldslämmer, bei denen man sich immer fragt, wie sie es geschafft haben, soo naiv zu bleiben: „Es war neunzehnhundertfünfundsiebzig, und ich war nie zuvor Zug gefahren.“ Wahrscheinlich liegt es an der Umgebung – Montana ist ein geradezu klassischer In-the-middle-of-nowhere-Ort.

Doris trinkt also Whiskey (mit e!), während sie ihren pinkfarbenen Cadillac über den Highway steuert. Einmal ausgestiegen, läuft sie geradewegs in einen Pub, in dem dann prompt der Typ erschossen wird, mit dem Doris gerade noch geflirtet hat. Wenn sie dann unbedingt ihren Neffen anbaggern muß, wird Richard Ford kitschig – was sonst gar nicht seine Art und recht unangenehm zu lesen ist.

„Eifersüchtig“ ist ganze sechsundneunzig Seiten lang – als generell Ford-vernarrte Leserin versteht man den Verlag: Der Mann ist nicht gerade ein Vielschreiber; nachdem er 1989 zum ersten Mal auf deutsch verlegt wurde, sind jetzt alle sechs Titel, die in Fords mehr als 20jährigem Schriftstellerdasein erschienen, auf deutsch zu haben, und man freut sich über Neuigkeiten. Mit dem schönen Novellen-Etikett läßt sich ganz gut rechtfertigen, daß aus ursprünglich 22 Seiten fiction im New Yorker vom 30. 11. 1992 unbedingt ein ganzes Buch werden mußte.

Richard Ford ist es jedenfalls garantiert piepegal, ob seine Geschichte nun als Erzählung, Novelle oder Kurzgeschichte angeboten wird.

Und überhaupt: Wem das bißchen „Eifersüchtig“ nicht reicht, der kann sich ja die zehn Geschichten aus dem Band „Rock Springs“ kaufen (erschienen bei Fischer 1989); man kann „Eifersüchtig“ als die elfte dazulesen – und wird dann schon zufrieden sein. Friederike Freier

Richard Ford: „Eifersüchtig“. Aus dem Amerikanischen von Fredeke Arnim, Berlin-Verlag 1995, 112 Seiten, 29,80 DM