Talking Technoheads

Techno war einmal „music for those who know“. Dem Ende der Exklusivität folgt der Beginn der großen Erzählung. Sie heißt: Techno als internationale Revolution der Schaltkreise oder auch: Weltgeist Superstar kehrt wieder  ■ Von Thomas Groß

Die Zeitrechnungen gehen, wie immer bei der Lokalisierung von Gründungen, auseinander. Sieben Jahre hat es aber zumindest gedauert, bis Techno in Europa – und hier hat er sich am mächtigsten entfaltet – selbstreflexiv wurde: sieben fette Jahre, in denen es nichts anderes gab als Parties und Kommunikationsverweigerung und davongetragene Siege im Wettlauf mit den natürlichen Feinden des Pop, den Soziologisierungen, Pädagogisierungen, Boulevardisierungen und anderen Formen des Zerredens. Techno war Praxis, botschaftslos und insofern beyond of command – „eine Ladung geballter Information, die die Tiefe der Sprache, die sich mit ihr beschäftigen will, immer wieder um Kilobytes übersteigt“, wie ein Aktivist so schön formuliert. Mit anderen Worten: Techno war heilig.

Techno lernt sprechen

Wenn Techno in diesem Jahr plötzlich in die Profanität des Diskurses hinabsteigt, ist das ein bedeutsamer Einschnitt in die Welt bloßer Aktion: Die Wunschmaschine Techno ist ins Stocken geraten, das alte Interface Schrift, dem immerhin Zauberkraft bei der Bannung von allerhand Schrecken nachgesagt wird, muß zur Umkreisung eines Staus herhalten – und zwar von innen, aus dem Zirkel der Akteure selbst heraus. Ein Localizer sei in der Navigationstechnik ein Instrument zur Standortbestimmung, heißt es im Einleitungstext zu „Localizer 1.0“, der ersten, vor drei Monaten erschienenen Werkschau der Technobewegung, einem aufwendigen Prachtband mit Dokumentationscharakter (siehe taz vom 24. Februar); „Techno ist die Folge technischen Fortschritts bei der Tanzmusik und der Disco-Ausstattungsindustrie, gepaart mit Hedonismus und Modedrogen“, vermerkt einigermaßen nüchtern Thomas Haemmerli in einem schlicht „Techno“ betitelten Reader, den Philipp Anz und Patrick Walder herausgegeben haben (erschienen im Verlag Ricco Bilger, Zürich).

Der Band ist nur einer von mehreren zum Thema – neben bereits angezeigten Sammlungen in Kleinverlagen ist für den August bei Rogner & Bernhard eine Geschichte der DJ-Culture geplant –, doch er ist das erste Druckwerk, das nicht, wie der „Localizer“, mit bunter Techno-Grafik und -Layout optisch überrumpeln will, sondern Texte zu Techno bereitstellt. Eine Pioniertat: Techno beginnt zu reden – in Fragmenten der Sprache einer Modernisierung, die gerade erst begonnen hat. Auf Klärung (im buchstäblichen wie im philosophischen Sinne) ist die Bewegung, die sich hier abzeichnet, nicht unbedingt aus, aber aus dem Gewirr der Redeweisen lassen sich einige aktuelle Steuerdaten des Raumschiffs Techno ablesen. Nicht alle waren im ursprünglichen Programm vorgesehen. Oder doch?

Techno gibt sich selbst eine Geschichte

Das Symptom für die gegenwärtige Krise der Bewegung ist schnell benannt: Techno ist aus den ersten Experimentierphasen raus, hat seine Exklusivität verloren. Aus einer „Music for those who know“ (Underground Resistance, eines der mythischen Gründerkollektive), ist ein Stück Angestelltenkultur geworden, das sich vom Materialaufwand und Spektakelcharakter kaum noch von den Mammutmodellen des Rock, etwa der laufenden Rolling-Stones-Tournee, unterscheidet. Wo dort das alte Lied von Sex, Drugs & Rock 'n' Roll zelebriert wird, hämmern auf Massen-Raves die ewig gleichen Slogans, die mittlerweile wie Durchhalteparolen klingen: „One Nation“, „One Tribe“, „One Family“ ...

In einer ersten Bewegung reagiert der Techno-Diskurs darauf, indem er sich eine Stunde Null fingiert. Die Erzählung vom Techno könnte bei den Ekstasetechniken der Steinzeit beginnen, setzt hier aber gediegen mit der Technifizierung und ihren ersten künstlerischen Antworten im 20. Jahrhundert ein: bei Luigi Russolos Manifest „Die Kunst der Geräusche“ von 1913. Bald darauf gesellen sich Schönberg, Satie, Stockhausen und Cage hinzu, nur unwesentlich später die mit den ersten Moog Synthesizern gerüsteten Minimalisten Steve Reich und Philipp Glass, dann, in einer immer schnelleren Bewegung gegen Ende des 20. Jahrhunderts Pink Floyd, Can, Tangerine Dream, Kraftwerk, Giorgio Moroder, Yello, DAF, New Order, Nitzer Ebb, um schließlich, auf dem Umweg über Electronic Body Music, House und Industrial bei Techno anzukommen, bei Juan Atkins, Jeff Mills und dem Aphex Twin mit seinen selbstgebastelten navigativen Soundkarten – „die Technologie hatte in kürzester Zeit den Sprung von Adam & Eva zu Edison & Bell, vom ENIAC zum Apple 2 vollzogen“.

Was Herausgeber Philipp Anz in Kooperation mit Arnold Meyer hier an Daten zusammengetragen hat, folgt nur auf den ersten Blick dem Modell purer Ereignisgeschichte. Tatsächlich wird die Rückkehr der Geschichtsphilosophie in das Nachdenken über Techno betrieben. Was vereinzelt aussieht, soll in Wirklichkeit einer inneren Teleologie folgen: Erst der Geist, dann dessen Inkarnation, am Ende steht – Advent, Advent! – die Geburt des Techno-Kinds.

Dort liegt es nun und reibt sich verwundert die Augen, wen es noch alles erlösen soll, während alle Welt bereits auf seine Blöße starrt.

Techno nennt sich Avantgarde

Doch ist die Vermassung von Techno tatsächlich so verwerflich – und nicht vielmehr gerade die Umsetzung seiner egalitären, demokratischen Gehalte? „Einzigartig bei Techno ist die Mischung zwischen Superpop und Underground, zwischen Millionenerfolg und Authentizität“, schreibt der Münchner DJ und Vogue-Redakteur Ulf Poschardt in einem Versuch über das historisch Neue an Techno. Bloß nicht so verbissen, Leute! „Die Underground-Ideologie wird durch einen ästhetischen Pragmatismus ersetzt, der kein Problem damit hat, daß weite Felder des künstlerischen Geheimwissens in den Fundus der Popkultur aufgenommen werden.“

Das klingt versöhnlich. Und doch kommt der „postutopische Romantizismus“, den Poschardt mehr propagiert als analysiert, nicht ohne kulturelle Aufwertung aus. Just in dem Moment, in dem der Pragmatismus der Bewegung seine ersten Ödstreifen zu durchqueren hat, blüht plötzlich der Diskurs in nie gekannter Pracht, werden Bögen von Heideggers „Gestell“ über das Besingen des Körpers als Kollektiv bis hin zur „Poesie der Schaltkreise“ geschlagen. Daß der DJ dabei die Rolle des entscheidenden neuen Künstlertyps der Popmusik einnimmt, ist nicht ohne Berechtigung, dient hier aber vor allem einer Selbstidentifizierung der Bewegung als Elite-Einheit. Für Poschardt sind immer noch „kleine Avantgarde- Einheiten in unwegsamem Gebiet“ zugange. Ihre Mission: „Neuland für den Fortschritt des musikalischen Weltgeistes zu erobern“.

Was Punk so strikt verweigerte, ist für Techno eine leichte Übung: Weltgeist Superstar feiert noch einmal Auferstehung – und mit ihm all die totgeglaubten Schwurformeln der historischen Avantgarden, die Verabredung der Wissenden, die imperiale Geste der Landnahme („unwegsames Gebiet“), die Expansion in den Westen einer besseren Zeit. Sogar der gute alte Fortschritt hat sich noch einmal aufgerappelt.

Techno als Metapher der Modernisierung

Weltgeist Superstars Identität ist kaum verschlüsselt: Was Techno an Avantgarde- und Zukunfts-Szenarien entwirft, kommt aus dem Windschatten des großen, namensgebenden Bewegers Technik. Man ist der Meinung, mit diesem Strom zu schwimmen, sogar auf ihm zu surfen – und nicht etwa, von ihm geschwommen zu werden.

Tatsächlich ist Sven Väth „unplugged“ nicht denkbar. Erst die Digitalisierung, die Auflösbarkeit aller sinnlichen Oberflächen in binäre Oppositionen, hat die Musik vollkommen von ihren „natürlichen“ Ursprüngen getrennt. Bands sind streng genommen nicht mehr nötig, da jedes Instrument elektronisch zuspielbar ist und auf dem Bildschirm dargestellt werden kann. Selbst wenn ein Cello in das Arrangement eines Techno- Stücks integriert wird, ist es nicht mehr dasselbe Cello, weil die Einspielung per Sampler rein über musikalische Steuerdaten erfolgt. Nicht einmal eine Tastatur ist mehr erforderlich beim On-line und On- Screen-Composing mit der Maus, dafür wird die gesamte akustische Welt zum Archiv. Komponieren mit dem Computer – im banalsten Fall eine Art Malen nach Zahlen (es gibt schon fertige Sampling- CDs im Handel), im kreativeren ein Basteln mit Klängen, die ihre Herkunft fast völlig hinter sich lassen können. Denn da lediglich Steuerdaten aufgezeichnet werden, sind diese, wenn erst einmal gesamplet, nach Belieben manipulierbar.

Interessanterweise lassen sich ganz ähnliche Entwicklungen am Hollywood-Film verfolgen: Die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten bewirkt, daß der Erfolg von Filmen mittlerweile kaum noch vom Regisseur, sondern von den Computer-Cracks der Special-effects-Abteilungen abhängig ist; sie entwerfen die moderne Montage der Attraktionen – Technoiden und Cyborgs, die sich auf der Leinwand verflüssigen und rematerialisieren. Action-Filme sind Techno: Jeder technologische Fortschritt wirkt sich unmittelbar auf das optische Gesicht aus, der Fortschritt von „Terminator I“ zu „Terminator II“ entspricht in etwa dem von Electronic Body Music hin zu „Eternity“ von Snap. Anders als im Hollywood-Kino aber hat sich im musikalischen Techno die Autorenfigur erhalten – was seinen Grund in der Verbilligung des Heimcomputers und der dadurch immens erhöhten Mobilität und Breitenwirkung hat. In diesem Effekt wurzeln all die Hacker- und Subversionsszenarien, die Techno in seiner heroischen Zeit begleitet haben und immer noch für glänzende Augen sorgen – auch wenn sich mittlerweile andeutet, daß die Schaustellerphase, die die Einführung neuer Medien bislang immer begleitet hat, vorüber ist, und der Wanderzirkus sich als Mammut- Show hollywoodisiert.

Das heißt keineswegs, daß Techno vorüber ist, im Gegenteil: Techno ist zu einer Metapher der gesellschaftlichen Modernisierung geworden. Sie umschreibt und umfaßt all jene, die es gelernt haben, im spielerischen Umgang mit den In- und Outputs von Maschinen neue Fähigkeiten zu entwickeln. Das ist ein Bruch: Wer in den kommenden Jahren nicht seinen eige

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nen Körper an die intuitive Verschaltung von Hirn, Hand, Bildschirm und Maus gewöhnt hat, wird plötzlich ziemlich alt ausehen.

Kraft durch Techno?

Es ist diese Macht in der Formung neuer Subjektivitäten, die Techno so sexy macht. Zigarettenmarken arbeiten am Image-Transfer, Zukunftsforscher geben Stichworte, Chefredakteure in spe springen auf den Zug („Ich will Techno, Techno, Techno!“), Werbeagenturen profitieren vom Deal mit dem Glamour neuer Medien. Die gesellschaftliche Phantasie heftet sich immer stärker an „diese wohlstandsgenährten und fitneßgestählten, gedopten und imprägnierten Körper. Diese jungen Körper, die sich mit Lust der treibenden Beatmaschine ergeben und scheinbar nie ermüden. Diese schier unermeßliche Energie!“ (Patrick Walder).

Der Wunsch, hiervon etwas abzuschöpfen, hat vor rund einem Jahr auch zur Beschwörung eines „Lebensgefühls“ verführt, „das oft in überraschender Weise Kontaktzonen zu ,rechten‘ Grundfiguren bietet“ (so Roland Bubik, Leiter des Ressorts „Zeitgeist und Lebensart“ der Jungen Freiheit in dem von Schacht/Schwilk herausgegebenen Sammelband „Die selbtbewußte Nation“). Hämisch, wie Revisionisten nun mal sind, verabschiedet Bubik das „anarchoide Freiheitspathos“ des Rock 'n' Roll und umarmt dafür in eindeutig sexualisierter Rede Techno: „Der vitalistische Wunsch nach ekstatischer Auflösung paart sich dort mit der Einpassung in die stringenten Formen dieser ,Musik‘. Es ist eine eigenartig illusionslose Generation, die inmitten telekratisch-beliebiger Verhältnisse nicht mehr an die hohlen Utopien der linken Väter glauben kann ... Wohl ist dieser Weg nötig, um etwas Neues aufzubauen.“

Ein Anbiederungsversuch im Syberberg-Wagner-Sound, der allerdings wenig beweist. Denn natürlich läßt sich Techno, wenn man unbedingt will, auch diametral entgegengesetzt interpretieren – wie ein bei Anz/Walder abgedrucktes „Communist Parties Manifest“ beweist: Produktionsmittel für alle, Aufweichung der Familie, Zersetzung der Geschlechterrollen, Befreiung des Individuums – „Das Stichwort heißt Kommunismus – verstanden als freiwillige, internationale Zusammengehörigkeit und Zusammenarbeit“ (Albert Kuhn).

Schön wär's. Obwohl in der Technobewegung vom affektiven Antikapitalismus über Proto-Feminismus, umherschweifendes Rebellentum, Urchristentum, Technikmystizismus, Neo-Futurismus, wiedergeborenes Hippietum, Ethno-Romantizismus, Neo-Neo- und-immer-wieder-Machismus, Post-Rock-Vitalismus und Stammesnationalismus sich vieles überlagert und überschneidet, hat sich bislang nichts davon als dominant oder von außen kooptierbar erwiesen. Techno, das zeigt das versammelte Grübeln darüber, ist als Bewegung immer noch so jung, daß es sich zu einem guten Teil dem Begriff verweigert. Sichert der exzessive Rave am Wochenende bloß die Arbeitsfähigkeit für den Rest der Zeit oder nagt er nicht auch daran? Sind die Drogen Mächte der Auflösung oder bereiten sie kommende Stahlbadkulte vor? Oder bloß den superflexiblen, hyperhedonistischen und trotzdem effizienten Angestellten der Zukunft?

Erkennbar ist vorerst eine Ökonomisierung der Freizeit durch Beschleunigung, ein Bild, in dem Disziplin und Abfahrt sich gegenseitig steigern – und irgendwie auch neutralisieren. „Raven“, sagt Sven Väth, „ich glaube, das ist der härteste Sport, den du dir aussuchen kannst. Im ,Omen‘ lege ich mit Sauerstofflasche auf. Zehn Stunden am Stück, bei 65 Grad. Ich geh' nicht mal aufs Klo, trinke fünf, sechs Liter. Das schwitze ich alles wieder raus.“

Techno auf dem langen Marsch

Erkennbar ist aber auch, daß der Drall zum Mittelstand in nächster Zeit das Techno-Gesicht weiter in Richtung Mainstream formen wird auf dem Marsch durch die Institutionen: Ähnlich wie Rock 'n' Roll, dessen Erbe er wieder und wieder beansprucht, hat Techno sich aus einer schwarzen Minderheitenkultur zur (fast) rein weißen Gebrauchsmusik entwickelt, die obendrein noch den (im Grunde ästhetisch verwandten) HipHop als Musik zur Zeit in den Hintergrund drängt. Ein Milieu, in dem Manifeste wie das von der „Raving Society“ gedeihen. Autor Jürgen Laarmann, Herausgeber der Zeitschrift Frontpage und Mitorganisator der Berliner Love Parade, träumt von einer Welt „mit lauter glücklichen Leuten, die mit ihrer Identität und Funktion zufrieden sind, genügend Spaß, gute Laune, Sex, gesundes Urteilsvermögen, hohes Selbstbewußtsein etc. haben ...“

Die ravende Zweidrittelgesellschaft als Maß aller Dinge – hier schält sich unter der Fuchtel philosophierender Unternehmer dann doch ein protestantischer Kern der Techno-Ideologie heraus: Techno als eine Art Lebensreformbewegung, die nicht mit allen Konsequenzen kapitalistisch sein will, aber auch über keine Kritik der Produktivkräfte verfügt; die Wohlstand für alle verspricht, aber von Eigentumsverhältnissen und Interessen schweigt; die technokratisch an Machbarkeit glaubt, aber faktisch vor allem sich selbst damit meint. „Techno(logie) kann Glück steuerbar machen“, meint Jürgen Laarmann, und auch der „Localizer“, das Techno- und House- Buch aus Berlin, mahnt an, daß es sich bei vielen Ravern um „kompetente, hochkommunikative Spezialisten, um Computerfreaks, Künstler, Manager, Designer, Forscher und Organisatoren handelt, in deren Händen das Bruttosozialprodukt eben jener Staaten liegt. Wir werden nämlich gebraucht!“

Wenn das alles wäre, hätte Techno doch nicht über Rock 'n' Roll gesiegt, sondern der Sinn des Informationszeitalters über seine veraltende Form. „Live hard, die young“, hieß damals das Motto. Heute, ganz im Sinne von Max Weber: „Live long and prosper.“