Eine billige Fälschung ungeprüft verlesen

■ Notarin nennt Bezichtigungsschreiben im Solinger Mordprozeß grobe Fälschung / Mevlüde Genç: Uns wurde Schmutz ins Gesicht geworfen

Düsseldorf (taz) – „Jeder Laie hätte erkennen müssen, daß diese ,Urkunde‘ falsch ist“ – dieses Verdikt der Berliner Notarin Petra Benoit-Raukopf nahm der Richter Wolfgang Steffen gestern im Solinger Mordprozeß ohne äußerliche Regung hin. Was der Berliner Juristin sofort als Fälschung von Leuten, „die keine Ahnung haben“, aufstieß, hatte Steffen tags zuvor noch als „Bombe“ bezeichnet und im Gerichtssaal ungeprüft verlesen. Wegen dieser Wertung durch den Vorsitzenden war der Inhalt des gefälschten Schreibens zunächst als neuerliche spektakuläre Entwicklung im Solinger Prozeß über die Nachrichtenagenturen verbreitet worden. Die Tat sollte nun als Racheakt eines türkischen Landsmanns aus Berlin wegen Vergewaltigung und Schuldenmacherei dargestellt werden.

Eine miese Denunziation, die man nach den Worten von Reinhard Schön, einem der Anwälte der Familie Genç, „sofort hätte erkennen können“. Schon die Diktion des Schreibens deute darauf hin, daß „rechtsradikale Kreise“ die Urheber seien. Wörtlich heißt es in dem Pamphlet: „Angeblich soll sich Semet A. mit den zuständigen Behörden abgesprochen haben und dazu beigetragen haben, den ,braunen Sumpf etwas auszutrocknen‘“. Die Polizei habe Schuldige gebraucht.

Nach diesem Muster meldeten sich deutsche Rechtsradikale in der Vergangenheit immer wieder nach rassistischen Anschlägen in anonymen Schreiben zu Wort. Doch der Düsseldorfer Senat nahm diesen Dreck ebenso für bare Münze, wie er auch die sonstigen offensichtlichen Hinweise auf eine Fälschung übersah. Trotz dieses „schweren Fehlers des Gerichts“ verzichtete Schön jedoch darauf, gegen Steffen einen Befangenheitsantrag zu stellen, denn „wir wollen das Verfahren nicht noch länger hinauszögern“. Das Verhalten von Steffen signalisiert für Schön aber die Gefahr, daß „dem Gericht nach 100 Verhandlungstagen das Gefühl dafür abhanden gekommen ist, was wichtig ist und was nicht“.

Für die Hinterbliebenen äußerte sich gestern Mevlüde Genç, die durch den Brandanschlag fünf Kinder und Enkelkinder verloren hat. Als sie die Beschuldigungen in den Nachrichten gehört habe, habe das auf sie „wie ein Schuß ins Gehirn gewirkt“. Sie habe „die ganze Nacht keine Sekunde schlafen können“. Und dann wandte sich die leidgeprüfte, aber gleichwohl starke Frau direkt an Steffen, der das Schreiben erst viel zu spät „als ungeheure Schweinerei“ bezeichnet hatte: „Meinem Sohn Kamil ist Schmutz ins Gesicht geworfen worden. Ich wollte brüderlich zu Ihnen sein. Ist das jetzt die Antwort darauf?“

Ein Ablehnungsgesuch gegen Steffen kam dann gestern doch noch. Nicht von den Nebenklägern, sondern von Georg Greeven, dem Verteidiger des jegliche Tatbeteiligung bestreitenden 18jährigen Felix K. Greeven befürchtet nun eine „unbewußte Wiedergutmachung“ seitens des Richters gegenüber der Familie Genç. Das, so Greeven weiter, „könnte sich auf das Urteil auswirken“. Nach Ansicht des Verteidigers „steht das Verfahren auf der Kippe, wenn es nicht schon zu unseren Gunsten entschieden ist“.

Kurz vor Redaktionsschluß lehnte der 6. Strafsenat gestern den Befangenheitsantrag als unbegründet ab. Die Behauptung, der Richter werde sich durch Presseberichte über seine Einschätzung des gefälschten Schreibens negativ beeinflussen lassen, sei abwegig, so die Begründung. Zuvor hatte der Angeklagte Felix K. erklärt, die Familie Genç tue ihm angesichts des Bezichtigungsschreibens „unglaublich leid“. Walter Jakobs