„Man muß doch zwischendurch was essen!“

■ Vor allem türkische Mitbürger fühlen sich im Tiergarten „wie zu Hause“: Ein Grillverbot käme einem „Hausverbot“ gleich / „Grillfeste sind fremde Kulturen zum Anfassen“

„Grillverbot im Tiergarten? Wo sollen wir denn dann hingehen?“ fragt sich Devrin Arslan. Grillverbot, das ist vor allem für die türkischen Mitbürger ein Tiergartenverbot, denn dann brauchen sie gar nicht mehr zu kommen. Noch aber kommen sie mit Grill, Hackspießen, Hammelfleisch, Hähnchen, Folienkartoffeln und großen grünen Pepperoni. Kurz: mit allem, was über einem Feuer garen kann. Oder besser: mit allem, was dafür sorgen kann, daß dicke Rauchschwaden entstehen, die dann durch den ganzen Tiergarten ziehen und zu Berliner Sommerwochenenden einfach dazugehören.

„Einen Tag im Tiergarten ohne zu grillen, das kann ich mir nicht vorstellen!“, sagt Frau Kosö, die seit sieben Sommern hierherkommt. Die junge Türkin sitzt hinter einem Tisch, auf dem zwei Plastikschüsseln mit Salaten stehen. An einigen Wochenenden kommen sie mit zehn, an anderen mit zwanzig Freunden und Verwandten auf die Skulpturenwiese vor dem Reichstag. Die Männer sitzen neben Frau Kosö an einem Tisch und spielen Karten.

„Wir können doch nicht mittags nach Hause fahren und dort etwas essen!“, sagt Frau Kosö. Und an Sommertagen zu Hause bleiben? Nein, dann würden alle verrückt, sagt die junge Frau und macht eine Handbewegung vor dem Kopf. Sie käme schließlich auch in den größten Garten Berlins, um mit ihren Landsleuten zusammenzukommen und die eigene Kultur zu pflegen.

Zur eigenen Kultur gehöre auch, viel draußen zu sein, meint Frau Cetin aus Neukölln. Die dreißigjährige Frau ist seit zwanzig Jahren in Deutschland und verbringt seit fünfzehn Jahren die Sommerwochenenden im Tiergarten. Heute feiert sie den neunten Geburtstag ihrer Tochter, rund dreißig Leute sitzen auf Klappstühlen zusammen. Frau Cetin hat einen drei Meter langen Tapeziertisch aufgebaut, auf dem Buletten, rohe Hähnchen, Nudelsalate, die türkische Beilage Kriser, Fladenbrote, Melonen und deutsches Bier stehen. Hinter ihr fängt ein Mann an Gitarre zu spielen, ein zweiter macht den Rhythmus mit einem Tambourin. Kurz danach tanzen zwei Männer in der Mitte der Sitzrunde. Die Kinder spielen fangen, schlagen Haken und fallen gegen die musizierenden Erwachsenen. „Ich fühle mich hier wie zu Hause“, sagt Frau Cetin.

Das ist leicht zu verstehen. Der Tiergarten hat sich an diesem, wie an jedem, Samstagnachmittag in mehrere türkische Wohnzimmer verwandelt. Die Menschen kommen mit allem, was sie haben, hierher: Ein Junge liegt unter einer Bettdecke und schläft, neben den alten Männern steht die Wasserpfeife; die Familien, die eine kurze Essenspause einlegen, stellen ihren Sammowar auf den Grill. Ja, sogar die fehlende Garage ersetzt der Tiergarten: am Straßenrand zur John-Foster-Dulles-Allee liegt ein Verteiler, ein junger Mann repariert seinen Wagen.

Türkische Kultur im Wandel, auch das ist im Tiergarten zu beobachten. Bei den Familien Kosö und Cetin waren die Frauen ohne Kopftücher schnell auf mich zugekommen und haben das Gespräch bestimmt. Die Männer haben sich weiter untereinander unterhalten. Da aber, wo die Frauen noch Kopftücher tragen, sitzen die Geschlechter streng getrennt. In einer großen Runde hocken die Frauen zusammen auf dem Boden, daneben eine Männerrunde, meistens auf Stühlen alle Generationen durcheinander, nur die Kinder sind bei den Frauen.

Als ich zu der Familie von Yilmaz Ekrem komme und die zwei Frauen mit Kopftuch anspreche, verweisen sie mich wortlos an die Männer. Die Frauen der Familie Ekrem aber bleiben stumm und packen die Wolldecken in eine der unzähligen Plastiktüten. Daneben steht ein Ein-Liter-Topf türkischer Yoghurt. Yilmaz Ekrem ist seit fünfzehn Jahren in Deutschland und kommt seit zehn Jahren in den Tiergarten. „Wir haben keinen Garten, nur eine kleine Wohnung, da können die Kinder nicht Fußball spielen“, sagt Ekrem. Wo sollen sich die Kinder denn sonst austoben? Und ohne zu grillen im Tiergarten? Nein, man habe ja zwischendrin n'bißchen Hunger, sagt Ekrem und deswegen brät seine Familie den ganzen Tag Fleisch.

Daß das Braten von Fleisch umweltschädigend sein soll, daß kann sich der Iraker Abdul Salin nicht vorstellen. „Wir kommen nur zwei Tage in der Woche, und das nur im Sommer und nur wenn das Wetter gut ist“, meint der Kunststopfer. Bevor die regierenden Politiker das Grillen verbieten, sollten doch erst einmal große Fabriken geschlossen werden, sagt er. Nina Kaden