Schwul und taub

■ Verein gehörloser Homosexueller feiert zehnjähriges Bestehen: Aids-Aufklärung gehört zum Alltag / Finanzierung mangelhaft

Vor zehn Jahren gründete sich die „Gemeinschaft der verkehrten Gehörlosen Berlin 85“. Am Pfingstwochenende veranstaltet der Verein einen internationalen Kongreß. Die taz sprach mit dem 1. Vorsitzenden des Vereins, Sebastian Büchner.

taz: Wie entstand die Idee, eine eigene Organisation für homosexuelle Gehörlose zu gründen?

Sebastian Büchner: Vor der Gründung sind wir in normale Schwulenkneipen gegangen, wo wir uns aber nicht richtig wohl gefühlt haben. Wir waren dort nicht integriert, sondern blieben immer unter uns. Auf einer Reise nach England erhielten wir von dem „Bruder und Schwestern Club“, der ersten Gruppe für gehörlose Homosexuelle, die Anregung, uns in Berlin zu organisieren. Damit haben wir dann 1985 begonnen.

Was für Erfahrungen habt ihr in heterosexuellen Gehörlosengruppen gemacht?

Früher gab es sehr starke Vorurteile. Teilweise wurden wir sogar verprügelt, uns wurde Bier ins Gesicht geschüttet. Oft wurde uns gesagt: „Faß mich bloß nicht an, sonst bekomme ich Aids.“ Das liegt daran, daß die Aids-Aufklärung bei Gehörlosen wesentlich schlechter ist als bei Hörenden. Hier in der Schönhauser Allee (Zentrum für Gehörlose, Anm. d. Red.) ist das allerdings anders. Hier gibt es kaum Probleme zwischen Schwulen und Heterosexuellen. Etwas schwierig ist es mit den Fußballmannschaften. Die haben eher Abneigungen gegen Schwule.

Wie groß ist eure Gruppe?

In Berlin sind wir ungefähr 70. Vor einem Jahr hat sich ein Bundesverband gegründet. Dort gibt es 500 Mitglieder aus 11 Ortsgruppen.

Was sind die Schwerpunkte eurer Arbeit?

Ein wichtiges Thema ist für uns die Identitätsfindung, was bedeutet, schwul und gehörlos zu sein. Wir wollen offensiv an die Öffentlichkeit gehen. Wir machen Aids- und Drogenberatung und Aufklärung. Dabei werden wir von der Deutschen Aids-Hilfe und Mann- O-Meter unterstützt. Wir organisieren Vorträge mit Fachleuten, wobei das alles noch im Aufbau ist. Häufig scheitern Projekte, weil wir sie nicht finanzieren können.

Woher bekommt ihr Geld?

Durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Ab und zu bekommen wir für einzelne Projekte Unterstützung vom Senat.

Der Kongreß, den ihr jetzt veranstaltet, ist international. Woher kommen die Teilnehmer?

Aus Europa, Japan, Australien und den USA.

Wie verständigt ihr euch?

Das ist für Gehörlose kein Problem. Es gibt zwar regionale Dialekte in der Gebärdensprache. Aber die Unterschiede sind nicht so groß, daß wir uns nicht verstehen würden. Für Hörende haben wir Dolmetscher auf den Veranstaltungen.

Wie sieht das Programm aus?

Am Samstag finden im Schweizer Hof Seminare zu Themen wie Aids, Identitätsfindung oder Gewalt gegen Homosexuelle statt. Es gibt Miß- und Misterwahlen, eine Mondscheinfahrt, einen Galaabend, eine Ausstellung und noch einiges mehr. Interview: Gesa Schulz

Internationales Treffen der gehörlosen Homosexuellen bis 5. Juni im Schweizer Hof, Budapester Straße 21-31