■ Licht & Schatten
: Lob der Kleinarbeit

John Grisham: „Die Kammer“, Hoffmann und Campe, 608 Seiten, geb., 48 Mark

Grisham geht recht flott zur Sache: 1967 bomben ein paar Ku-Klux-Klan-Männer in Greenville, Mississippi die Kanzlei eines jüdischen Bürgerrechtsanwalts weg. Der Anwalt verliert bei dem Anschlag die Beine, seine kleinen Zwillingssöhne werden getötet. Einer der drei Attentäter wird noch am Tatort festgenommen. Sam Cayhall wird angeklagt, doch die Jury gelangt zu keinem einstimmigen Schuldspruch. Cayhall ist frei, und auch eine zweite Anklage übersteht er schadlos. Zwölf Jahre später betreibt ein ehrgeiziger Staatsanwalt mit Erfolg die Wiederaufnahme des Verfahrens. Cayhall wird schuldig gesprochen und in die Gaskammer geschickt. 1990 sitzt er, inzwischen ein alter Mann, immer noch im Todestrakt des Staatsgefängnisses. Alle Rechtsmittel gegen seine Hinrichtung haben nichts gebracht, in ein paar Wochen soll er sterben. Da betritt Grishams Held, der bekannte junge Anwalt, edel und gut, die Bühne. Diesmal heißt er Adam Hall, ist der Enkel des mörderischen Rassisten und genauso blaß wie fast alle Grisham-Helden. Der Autor hat einmal selbstbewußt bemerkt: „Für das Tempo einer Geschichte muß man die Charaktere der Figuren opfern, mit ausführlichen Beschreibungen kann ich mich nicht aufhalten.“ Früher kam er mit dieser Einstellung gut zurecht. Leider versucht er aber nun, den Figuren Tiefe zu geben, das geht daneben. Der Bösewicht haßt Schwarze und Juden, weil schon sein Vater Schwarze und Juden haßte, wie es damals im Süden Sitte war. Der Enkel ist in Kalifornien aufgewachsen, also total tolerant und grenzenlos liberal. Nach dem anfänglichen Knallbonbon kommt das große Gähnen. Da wird endlos und in ständigen Wiederholungen das Leben eines KKK-Killers rekapituliert, wird in immer gleichen Sätzen über die Todesstrafe diskutiert. Die Story kommt nicht von der Stelle. Nach knapp 100 Seiten ist die Luft raus. Die Dramatik beschränkt sich darauf, daß Opa seine Familie bis ins dritte Glied ins Unglück gestürzt hat. Die juristischen Manöver, die der junge Anwalt zu seiner Rettung startet, und die wenigen Konfrontationen im Gerichtssaal, eigentlich die Stärke des Ex-Juristen Grisham, werden diesmal sehr lau präsentiert. Eine einzige Nebenhandlung baut Grisham ein: Einer der drei Attentäter, der eigentliche Bombenleger, ist aus verständlichen Gründen sehr daran interessiert, daß der Todeskandidat seinen Namen nicht preisgibt (warum tut er das eigentlich nicht?). Das hätte ein bißchen Pfeffer ins müde Advokatenspiel bringen können, aber Grisham läßt diese Geschichte lustlos versickern. Der Schluß kann hier leider nicht verraten werden – denn es gibt keinen.

David L. Lindsey: „Dunkles Leuchten“, Blanvalet, 512 Seiten, geb., 46 Mark

Der Texaner David L. Lindsey machte sich vor allem einen Namen mit einem Thriller, der nicht funktionierte. In „Abgründig“ von 1991 ließ er, alle Profile von Sexualmördern ignorierend, eine Frau als Serienkiller auftreten. Das Buch wurde trotzdem ein Bestseller. „Dunkles Leuchten“ ist wieder ein Polizeiroman, und diesmal funktioniert es. Sein Held ist Marcus Graver, Leiter einer Sonderabteilung der Polizei in Houston. Diese Abteilung sammelt Informationen über Personen, bei denen nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist, daß sie in kriminelle Aktivitäten verwickelt sind. Das CID (Criminal Intelligence Department) ist hauptsächlich mit Vorbeugung beschäftigt. Als eines Tages einer seiner Analytiker offensichtlich Selbstmord begeht, kommt Graver ins Grübeln; als ein paar Stunden später ein weiterer Mitarbeiter an einem Herzanfall stirbt, weiß er, daß etwas schiefläuft in seiner ansonsten recht ruhigen Abteilung. Er bekommt es mit Panos Kalatis, einem global agierenden Waffen- und Drogenhändler zu tun. Dieser Mann ist nicht irgendwer, er besitzt die besten Kontakte, Flugzeuge, Schiffe und er kauft Politiker und Polizisten wie andere Geschäftsleute Krawatten.

Joseph Wambaugh verspritzt ätzenden Humor, James Ellroy driftet immer wieder tief ins Dämonische ab, Lindseys Polizeiromane aber fallen vor allem durch ihre präzise Schilderung der polizeilichen Kleinarbeit auf. „Dunkles Leuchten“, über 500 Seiten stark, schildert ganze fünf Tage im Leben des Marcus Graver, aber keine Minute davon ist langweilig. Bislang der beste Polizeiroman der 90er. Karl Wegmann