Abheben oder Standhalten?

■ Die taz und ihre LeserInnen müssen die Chancen nutzen, die in der Veränderung der politischen Konjunktur liegen

„Zeitenwende in Deutschland – Triumph für die Grünen“ titelte die Woche, nicht etwa die taz, nach den grünen Wahlerfolgen in Bremen und NRW, das hört sich gut an. Das Rad der Geschichte wird nach einer Dekade geistig-moralischer Wende, die nur der Sicherung von Privilegien und dem Erhalt der Macht diente, wieder in eine andere Richtung gedreht. Die Grünen dürfen jetzt mal ran und ihre Visionen in Taten umsetzen. Keine AKWs mehr, kein Stau, keine stinkenden Städte, und das Ozonloch wächst auch wieder zu. Die taz wird Staatsanzeiger und braucht die Bundesregierung nicht mehr zu verklagen, weil sie sowieso über den gesamten Werbeetat des Presse- und Informationsamtes verfügt. Erste Maßnahme wird das Hissen der rotgrünen taz- Fahne bei allen Amtshandlungen des Außenministers Fischer neben der bisher nur die drei Altparteien repräsentierenden schwarzrotgelben sein.

Aber im Ernst, was bringt die Zeitenwende der taz, wenn die taz nicht Regierungsblatt werden will? Wo bleibt ihre Aufgabe, wenn alles in die richtige Richtung läuft? Wenn der ökologische Umbau bald auch im Parteiprogramm der CDU steht und die Quotierung ohnehin allgemeingültig wird? Wenn sich der Medienmarkt auf solche Entwicklungen einstellt, wie er es ja längst tut, und die Marktforschungsabteilungen der Medienkonzerne die Trends erkennen und dafür passende Zeitungskonzepte auf den Markt werfen?

Die taz ist nicht das synthetische Produkt aus der Marketingabteilung eines Medienkonzerns. Sie ist deshalb weniger glatt und perfekt, dafür authentischer, engagierter und manchmal auch rücksichtsloser.

Ende der 70er Jahre erlebte die Bundesrepublik schon einmal eine Zeitenwende. Abhauen oder Standhalten war die Frage. Zehn Jahre nach der Studentenrevolte waren die einstigen Revoluzzer auf dem Marsch durch die Institutionen. Und wenn die nicht reformierbar waren, wurden eben neue gegründet. Eine neue Partei mußte her: die Grünen, eine neue Zeitung: die taz; später sollte noch eine Bank folgen, weil neben Politik und Kommunikation Geld in der Gesellschaft schließlich auch eine Rolle spielt. „Wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie“, schrieb die taz in ihrer ersten Ausgabe. Gründerstimmung.

Die Lage der taz ist heute ganz anders als bei ihrer Gründung. Damals gab es nur die sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Frankfurter Rundschau als erklärte Konkurrentin, heute bietet der Blätterwald einiges mehr. Klassische taz- Themen werden nun auch von anderen Zeitungen aufgegriffen.

Die journalistische Qualität spielt für den Erfolg der taz eine zunehmend wichtige Rolle. Die taz ist um ihren hohen journalistischen Anspruch bemüht und versucht ihn jeden Tag wieder einzulösen. Andererseits wird denen, die die Zeitung Tag für Tag machen, immer wieder klar, daß die Realisierung solcher Ansprüche auch die Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen erfordert.

Mit dem Kapital der taz-Genossenschaft, an der sich inzwischen über dreitausend LeserInnen beteiligt haben, können immer nur Entwicklungen angestoßen werden, die sich auf Dauer wirtschaftlich selbst tragen müssen. Die Herstellung der Wirtschaftlichkeit ist für die taz ein anhaltend großes Problem. Andere Zeitungen finanzieren sich überwiegend aus Anzeigen, die taz weitgehend aus ihrer verkauften Zeitungsauflage. Warum? Ehemalige Vorbehalte der taz gegen Werbung finden heute offenbar ihre Fortsetzung in Berührungsängsten der werbenden Wirtschaft. Ein weiterer Grund: Der überregionale Charakter der taz korrespondiert nicht mit dem Anzeigengeschäft der Tageszeitungen, das im wesentlichen regional geprägt ist.

Aber wir dürfen uns nicht damit abfinden, daß Medien anscheinend nur noch unter dem Dach großer Konzerne eine Existenzberechtigung haben. Bei uns gibt es immer wieder Innovationen (fast) ohne Investitionen. Das taz-Gedächtnis auf CD-ROM verdanken wir der vorausschauenden List unserer EDV und Dokumentation. Wenn die taz seit neuestem schon am Vorabend des Erscheinungstages weltweit auf Internet zu lesen ist, dann dank unserer guten Drähte zu den EDV-Freaks an der TU Berlin. Und daß wir seit letztem Monat der taz eine deutsche Ausgabe der weltweit größten Monatszeitschrift für internationale Politik, Le Monde diplomatique, beilegen können, verdanken wir nicht zuletzt dem Renommee unserer Auslandsberichterstattung und der Hartnäckigkeit unseres polyglotten Schweizer Chefredakteurs Thomas Schmid. Damit wir uns auch aus uns selbst entwickeln können, brauchen wir neue Abos.

Gründe, uns zu lesen, gibt es genug. Der überregionale Charakter der taz ist für ihre medienpolitische und meinungsbildende Bedeutung unverzichtbar. Jeder vierte Journalist in Deutschland nutzt die taz beruflich, ermittelte die Uni Münster. Die Themen der taz und ihre Sichtweise, ihre Meinungen und ihre Analysen sind immer etwas Besonderes.

Die taz hat, wenn man sich die überregionale Verbreitung der Tagespresse in Deutschland anschaut, ein gutes Stück vom Kuchen abgebissen (siehe Grafik unten). Die überregionalen Auflagen der deutschen Tageszeitungen, sieht man von Bild ab, betragen ohnehin nur wenige hunderttausend Exemplare. In diesem kleinen Marktsegment ist es schwierig, der Konkurrenz LeserInnen abspenstig zu machen. Aussichtsreicher ist es, neue Leser zu finden, die bisher überhaupt noch keine Überregionale lesen.

Die Rettungskampagne „Keine taz mehr? Ohne mich!“ hat im Herbst 1992 über 11.000 neue, überwiegend junge, erstmalige AbonnentInnen zur taz gebracht. So wurde der bisher höchste Abostand erreicht. In den Jahren danach ist die Aboauflage von diesem Stand aus nur sehr langsam, aber immerhin wieder abgebröckelt. Solidarität ist keine Dauerleihgabe, schon gar nicht in Zeiten allgemeiner Sparmaßnahmen.

Aus den Begründungen von Abokündigungen ergibt sich, daß Zeit- und Geldprobleme zuerst genannt werden. Private Haushalte sparen nach Einführung von Pflegeversicherung und Solidaritätszuschlag; öffentlichen Haushalten werden die Mittel für Zeitungen gestrichen. Es werden aber auch konkrete inhaltliche Gründe genannt, aus denen das taz-Abo gekündigt wird. Die Veröffentlichung einer Anzeige des rechten „Berliner Appells“ hat zu einer Fülle von Abbestellungen geführt. Von der politischen Korrektheit abweichende redaktionelle Beiträge führen regelmäßig zu der einen oder anderen Abokündigung.

Solche Einzelfälle, so bedauerlich sie sind, begründen aber keinen Trend. Die taz ist als politische, meinungsbildende Zeitung sehr von der gesellschaftlichen und politischen Konjunktur abhängig, besser wäre, sie könnte diese beeinflussen. Auflagensprünge wurden immer im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen in der Gesellschaft (Hausbesetzungen, AKW, Aufrüstung) erzielt. Hier ist mit der auch über das Wahljahr 94 hinaus anhaltenden Kohl-Ära in der Gesellschaft zunächst eine Lähmung eingetreten, die auch der taz nicht gutgetan hat.

Nehmen wir die „Zeitenwende“ zum Anlaß, das Modell taz mit neuem Schwung in Bewegung zu setzen. Wenn jede(r) AbonnentIn eine(n) weiteren dazuholt, dann lassen sich schon große Sprünge wagen. Die Bonn-Redaktion wird verstärkt, damit nicht nur Rot- Grün beobachtet werden kann, sondern auch die Reform der CDU und das Siechen der FDP. Der Berlinteil wird ausgebaut, damit die Hauptstadt auch eine Hauptstadtzeitung bekommt, die konzern- und parteiunabhängig ist. Und vielleicht bekommt sogar NRW eigene Lokalteile.

Um unsere LeserInnen zu motivieren, geben wir das Zweitbeste, was wir nach der täglichen taz haben. Jede Leserin oder jeder Leser, die/der einen neuen Abonnenten für die taz wirbt, erhält als Belohnung von uns die im Juli erscheinende zweite taz-CD-ROM. Ein kleines technisches Wunderwerk und Riesenarchiv mit allem Komfort. Auf ihr befinden sich die Texte aus sieben Jahren taz von Juli 1988 bis Juni 1995, vom Aufbruch im Osten bis zur „Zeitenwende in Deutschland“. Karl-Heinz Ruch