■ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über die FDP
: Kein Gedanke an Parteiaustritt

taz: Mit keinem der beiden Kandidaten, die für den Parteivorsitz kandidieren, verbinden Sie große Gemeinsamkeiten. Wolfgang Gerhardt ist ein Befürworter des „großen Lauschangriffs“, den Sie ablehnen. Jürgen Möllemann hat signalisiert, daß er Sie nicht mehr gerne im Regierungskabinett sehen würde. Für wen werden Sie in Mainz stimmen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Für mich ist entscheidend, welche Positionen die beiden Kandidaten auf dem Parteitag beziehen, wie klar und eindeutig sie sich insbesondere zu den Nationalliberalen um Herrn Zitelmann abgrenzen, wie die Kandidaten das Verhältnis Bürger/Staat beurteilen und wieweit sie ganzheitlich den Freiheitsbegriff allen Politikbereichen zugrunde legen, nämlich in der Wirtschaftspolitik, Bildungs- und Wissenschaftspolitik genauso wie in der Innen-, Rechts- und Gesellschaftspolitik.

Was muß geschehen, damit die FDP überlebt?

Die FDP muß überzeugend deutlich machen, daß sie die Partei der Bürgerrechte genauso ist wie die Partei, die in der Wirtschafts-, Finanz- und Steuerpolitik für die Freiheit des Bürgers gegen Deregulierung und immer mehr Bürokratie kämpft. Es darf keine Verengung auf gewisse Themenbereiche geben, denn dann können wir nicht mehr überzeugend Liberalismus, orientiert am Freiheitsbegriff, vermitteln. Und es darf keine Widersprüchlichkeit in Positionen und keinen Paradigmenwechsel geben. Ich denke hier besonders daran, daß der Schutz des Eigentums weiterhin gleichrangig stehen muß neben dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung und damit der Privatsphäre des einzelnen. Nur wenn man beides auch mit gleicher Elle mißt und beide Grundrechte gleich achtet, ist Politik überzeugend.

Nun ist ja die Forderung, daß die FDP ihr Angebot nicht verengen darf, nicht mehr neu...

Es geht darum, mit welcher Glaubwürdigkeit, Überzeugung und mit welchem Umsetzungseinsatz die FDP dieses breite Spektrum vertritt. Da haben wir Defizite aus der Vergangenheit.

Müssen sich diese Themen nicht auch personell in den Führungsgremien der Partei widerspiegeln?

In den Gremien muß ganz deutliche werden, daß wir einen Rechtsruck nicht vollziehen und daß die verschiedenen Themen- und Politikbereiche – orientiert am Freiheitsbegriff, wenn es um Antworten und Lösungen geht – auch dezidiert personell vertreten werden.

Nun haben Sie ja schon durchblicken lassen, daß Sie, wenn die Partei ihre Rechtspolitik nicht unterstützt, zumindest über Rücktritt nachdenken. Welche Punkte sind Ihnen am wichtigsten?

Zunächst geht es ja darum, daß die Partei auch wissen muß, wie weit sie Parteifreunde in Ämtern tragen kann, wenn es um ihre Politik und die Inhalte in der Politik geht. In der Rechtspolitik ist es unter anderem wichtig, daß wir bei Sitzblockaden keine zusätzlichen Straftatbestände schaffen und die immer weiter ansteigenden Telefonabhörmaßnahmen rechtsstaatlich begrenzen. Nach meiner festen Überzeugung müssen wir auch weiterhin die Ablehnung des Abhörens von Wohnungen bekräftigen.

Weiter ist wichtig, wie wir mit den Forderungen nach immer weiteren Eingriffen in die Verteidigungsrechte im Strafprozeß und in die Stellung des Angeklagten umgehen: Wollen wir das Beweisantragsrecht wirklich weiter erheblich einschränken und Rechtsmittel immer mehr reduzieren? Der Datenschutz darf außerdem nicht weiter als Täterschutz diffamiert werden. Außerhalb des Strafrechts muß die Benachteiligung von nichtehelichen Kindern und nichtehelichen Lebensgemeinschaften – auch von gleichgeschlechtlichen Partnern – in unserer Gesellschaft aufgehoben werden. Dann ist die Problematik von Vergewaltigung in der Ehe noch ungelöst.

Glauben Sie, daß Sie in der offensichtlich eher wirtschaftsliberal orientierten FDP noch Zustimmung finden?

Die FDP ist, gemessen an ihren aktuellen Programmen, eine Partei, die neben der wichtigen Wirtschaftspolitik ganz eindeutig Schwerpunkte in der liberalen Rechtspolitik setzt. Dort setzt sie sich auch für Integration von Ausländern und für Minderheiten in unserer Gesellschaft ein. Wir haben es in der Partei nicht mit Wirtschafts- und rechtspolitischen Flügeln zu tun. Es ist vielmehr so, daß man nur dann den Anspruch einer liberalen Partei erheben kann, wenn man den Freiheitsbegriff zur Grundlage seiner Politik macht. Daraus leiten sich Forderungen und politische Einschätzungen für alle Themen ab.

Nun ist in der Praxis für führende FDP-Politiker der Freiheitsbegriff offensichtich nicht mehr Grundlage ihrer Politik.

Ich bin wirklich davon überzeugt – gerade nach sehr vielen Gesprächen und Veranstaltungen mit der Parteibasis –, daß dort eindeutig die Auffassung vorherrscht, daß wir als FDP uns nicht auf ein Themenfeld, etwa Steuersenkung oder Wirtschaftspolitik, reduzieren dürfen. Das wäre dann eine Interessenvereinigung, die sich an einer bestimmten Klientel orientiert, aber keine politische Partei, die den organisierten Liberalismus vertritt.

Einige Ihrer Parteikollegen machen keinen Hehl daraus, daß sie Sie loswerden wollen. Detlef Kleinert wurde in diesen Tagen mit Äußerungen zitiert, die niederes Stammtischniveau haben. Wieviel wollen sie noch schlucken?

Erstens begebe ich mich nicht auf dieses Niveau, zweitens fallen aus meiner Sicht Äußerungen auf denjenigen zurück, der sie gemacht haben soll, und drittens fällt dann denjenigen, die das lesen, die Beurteilung entsprechend leicht.

Wieso beharren Sie auf Ihren liberalen Positionen, rein rechnerisch hätte die FDP doch im rechten Spektrum mehr zu erwarten? Da hat Ihr ehemaliger Untergebener Alexander von Stahl doch den besseren Riecher.

Wenn die FDP sich auf einen Weg begeben würde, der die völkisch definierte Nation dem Bürgerstaat vorzieht, der Feminismus als Apartheid ansieht, der kulturelle Pluralität und die offene Gesellschaft ablehnt, dann ist das eine Politik, die vielleicht Wählerinnen und Wähler in einem bestimmten Umfang ansprechen mag, aber sie macht dann keine liberale Politik mehr.

Ignatz Bubis hat gesagt, er werde austreten, wenn die FDP nach rechts driftet. Gilt das auch für Sie?

Eine FDP, die Zitelmanns Positionen – auch seine geschichtsrevisionistischen – zu ihrer Politik macht, wäre auch nicht meine FDP.

Bubis hat offengelassen, was genau er unter einem Rechtsruck versteht. Wo liegt da Ihre Toleranzgrenze?

Zunächst ist es wichtig, daß überhaupt einmal auf einem Parteitag eine inhaltliche Auseinandersetzung mit denjenigen stattfindet, die der FDP ein anderes Gesicht geben wollen. Eine Markierung wäre für mich natürlich, wenn die in den Papieren der Gruppe um Herrn Zitelmann enthaltenen Thesen sich als mehrheitsfähig erweisen würden.

Gerhardt verteidigte Auftritte von Jörg Haider bei FDP- oder FDP-nahen Veranstaltungen, auch wenn er nicht mit Haiders Position einverstanden war. Würde die FDP mit einem Vorsitzenden Gerhardt ein Zeichen nach rechts setzten?

Ich glaube, es ist nicht richtig, Herrn Gerhardt mit diesen Gruppierungen gleichzusetzen oder in deren unmittelbare Nähe zu bringen. Ich erwarte, daß er zu diesen Punkten unmißverständliche Aussagen macht. Mit Sorge sehe ich allerdings, daß die für eine liberale Partei unumgängliche ganzheitliche Anwendung des Freiheitskriteriums auf Wirtschaftsfragen verengt werden könnte.

Wenn sich die FDP nicht so entwickelt, wie Sie sich das wünschen, wechseln Sie dann wie Ihr Onkel, der FDP-Politiker Wolfgang Stammberger, zur SPD?

Ich habe selbst für mich noch nie die Frage aufgeworfen, die FDP zu verlassen. Für mich gibt es keine andere Partei als eine liberale, die wirklich den Freiheitsbegriff in der Tradition der Aufklärung so in den Mittelpunkt ihres Denkens stellt – vor allen Dingen in einer Zeit, in der das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit tendenziell zugunsten der Sicherheit, zugunsten des „starken Staats“ beantwortet werden soll.

Spekulationen über das Ende der FPD entbehren ja nun nicht jeder Grundlage. Was ist mit den Grünen als Partei, die jetzt die Bürgerrechte präsentieren?

Von ihrer Grundeinstellung her sind die Grünen nicht diejenigen, die bei der Beurteilung des Verhältnisses Bürger/Staat ganz klar auf den Büger setzen. Vielmehr sind sie in allen Politikbereichen diejenigen, die eine ganz starke Affinität zum Staat haben und im Zweifel nicht auf den mündigen Bürger, sondern auf freiheitseinschränkende staatliche Regulierungen, Bestimmungen und Verbote setzen.

Ich sehe in der Grundeinstellung der Grünen überhaupt nicht, daß sie auf den Freiheitsbegriff und auf den vernünftigen und verantwortungsbewußten Bürger setzen. Vielmehr sind die Grünen in der Grundüberzeugung eine sehr staatsgläubige Partei. Es ist aus meiner Sicht ein Defizit der Liberalen, daß dieser gravierende Unterschied eigentlich nie offensiv und aggressiv deutlich gemacht wird. Interview: Karin Nink