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Bingo, Bands & Breakdance

■ Fünf Tage Breminale: Die Lautsprecher auf „volle Kraft voraus“ / Musik zwischen Ethno und Techno

Breminale, daß hieß einmal mehr Musik satt, und zwar solche, die auf handelsüblichen, bratwurstgeschwängerten Stadtfesten meist zu kurz kommt. Das Bremer Bandgewitter am Freitag auf der Flut-Bühne wurde zur beeindruckenden Leistungsschau, nach der man sich fragt, warum eine Gurkenstadt wie Hannover eine Band nach der anderen in den Charts hat, während Hanseaten dort Mangelware sind. „Sandcastle 5“ verzauberten einmal mehr die dem Regen standhaltenden mit zuckersüßen Hard-Pop-Melodien, „Bishop En Culer“ entfachten, dem Crossover näher denn je, ein stahlhartes Tanzgewitter. Charmanter Abschluß: „Youth Tribe“ mit vier Bläsern und Ersatzgitarristen Alex, hauptberuflich bei „Queerfish“ tätig, der wegen eines Armbruchs kurzfristig eingesprungen war und dafür sorgte, daß die buten-und-binnen-bremische Partykombo trotz Handicap einige Dutzend tanzende Party-Ska-Freunde verbuchen konnte.

Ältere Semster zogen es dagegen vor, in Scharen vor der Weltmusik-Bühne zu „Susu Bibilis“ reggae-lastigen Tanzbeats aus Togo zu wippen und die exotische Instrumentierung der rhythmusbetonten „Ang Grupong Peng“ zu bestaunen, die handgemachte philipinische Instrumente obskursten Aussehens dazu nutzen, ihre vermutlich politischen Texte aberwitzig, aber faszinierend zu unterlegen.

Ein weiteres Experiment gelang ebenfalls: den ganzen Samstag hatte das Veranstalter-Konglomerat auf der Flut-Bühne auf Musik aus der Dose gesetzt. Dank Sonnenschein, Joint und Isomatte wurde das „Technoclima“ nicht nur für die hundert-köpfige Tanzschar zum Erlebnis. Zahllose DJ's bescherten ein Reise durch die vielschichtige Subgenres der Tanzklultur, und auch ohne daß die am Deich Liegenden wußten, ob das nun gerade Hard-Trance, Jungle oder Ambient war, was da von den Plattentellern kam, war das Heer der tanzwütigen ein unvergeßlicher Anblick, der manch gestandenen Techno-Hasser zum Mitmachen animierte. Nach über acht Stunden hatte es sich ausgeraved, zwar zu einer Zeit, wo andere Techno-Ereignisse gerade erst anfangen - der Beweis, daß Konservenmusik voller Leben sein kann, gelang aber allemal.

Wie einfach es ist, die Finanzierung von Kultur selber zu einem Stück Unterhaltung zu machen, war das ganze Wochenende lang zu bestaunen: Bingo! Mitmachen kostete pro Teilnahmeschein eine Mark; Geld für den anstehenden Flut-Sampler, der aus den Breminale-Aufnahmen der einzelen Bands entstehen soll. Neben der Flut-Bühne, eingequetscht in einen Riesenstapel Gummidinosaurier und ähnlichem Tand, gaben Weser-Label-Chef Fabsi und Gehilfen alles. Gröhlend, drohend, lockend animierte die Alt-Punker dermaßen gekonnt die Massen, daß man meinte, sie wäre soeben aus dem tiefsten Mittleren Westen der USA eingeflogen und übertönten die spielenden Bands ein ums andere Mal. Fabsi war sich zu nichts zu schade, beschwor, tröstete, wich ein- ums andere Mal den Papierkügelchen der Frustrierten aus. Und die buntgemischte Horde ging mit. Ameisen-Künstlerin Anja johlte und weinte neben Techno-DJ Ulf. Adelheid Streidel-Sänger Hanno zeriss vor Wut seine Teilnahmescheine, wenn statt der erhofften 47 die 66 - „die Zahl des Teufels“, so der Annimateur - aus dem Glücksrad purzelte und die erhofften Gewinne zum Entsetzen der Szene-Prominenz an frisch eingestiegene Normalos gingen. Hier leer auszugehen war für viele vermutlich der einzige Wermutstropfen bei einem klasse Programm zum Nulltarif.

HipHop-Kultur wollte man ebenfalls auf dieser Breminale umfassend vertreten wissen, und dazu gehören nicht nur die obligatorischen Rap-Bands, Graffiti-Sprüher und Breakdancer, sondern nach Meinung der Sportartikelindustrie auch die Basketball-für-Arme-Variante „Streetball“. Dummerweise machte der Sonntagnachmittagsregen das Spiel auf den Brettern, die wohl die Straße simulieren sollten, zu einer Rutschpartie. Keine Sorgen wegen der Witterung brauchten sich die vielen Breakdancer und die eine Breakdancerin zu machen, tanzten sie doch auf der überdachten „Flut“-Bühne. Wirkten einige dabei als schälten sie sich nach durchzechter Nacht und zuwenig Schlaf aus dem Bett, liefen andere zu akrobatischen Höchstleistungen auf. Aufpassen mußten die nah Umstehenden, wenn es mit den Künstlern mal richtig durchging: Ein Breaker trat versehentlich gleich zwei Kleinkinder nieder. Aber trotz großen Geschreis gab es keine Verletzungen, die nicht durch ein paar tröstende Worte geheilt werden konnten.

Die HipHop-Bands mußten derweil hart für ihren Beifall kämpfen. Das vielversprechende Bremer Duo „Zentrifugal“, das auf der Breminale stolz seine erste Vinyl-EP vorstellte, kredenzte seine beschwingten Grooves und seine Reime gegen Fernsehen und Drogen viel zu früh, um ein feierfreudiges Publikum vorzufinden. Den Höhepunkt im dominierenden Mittelmaß boten sicherlich die „Armen Ritter“, die nicht nur rappten und scratchten, sondern auch noch Keyboard, Gitarre und Saxophon mitgebracht hatten, was ihren Nonsens-Texten eine soulige bis jazzige Untermalung verpaßte.

Andreas Neuenkirchen und Lars Reppesgard

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