Heimspiel für Geniale Dilettanten

■ Am Samstag eröffnete der Berliner Künstlerhof in Buch mit einem Fest

Improvisation ist alles. Und Erwin Stache hat offensichtlich eine Menge Spaß dabei. Beschwingt schlägt er auf die verschiedensten Apparaturen ein, drückt hier ein Knöpfchen, dort ein Knöpfchen. Eine Viertelstunde dauert das Konzert aus quietschenden, röhrenden, glucksenden, gequälten Tönen, das er seinen selbstgebauten „Geräuscherzeugern“ entlockt. 15 Minuten Vorgeschmack auf kommende Projekte: In diesem Sommer wird Stache in Stelzen bei Leipzig eine „Landmaschinensinfonie“ aufführen. Mitwirkende: ein Mähbinder, ein Heuwender und zwei Traktoren.

Der Auftritt des 35jährigen Mathematikers, Komponisten, Objektebauers und Erfinders aus Leipzig zählte zweifellos zu den Höhepunkten des an Attraktionen nicht gerade armen „operativen Künstlerfestes“, das am vergangenen Samstag im Künstlerhof Buch stattfand. So bunt wie die abstrakt- geometrischen Bilder, die der Maler David Krippendorf in die leeren Fensterhöhlen des ehemaligen Gutshauses gehängt hatte, war das gesamte Programm an Filmvorführungen, Tanz, bildender Kunst, Performances und experimenteller Musik. Seit Anfang des Jahres liegt die Trägerschaft für den Künstlerhof Buch bei der Akademie der Künste, die damit große Pläne hat. Das denkmalgeschützte Ensemble im strukturschwachen Nordosten Berlins, in dem zu DDR-Zeiten Werkstätten für architekturbezogene Kunst untergebracht waren, soll künftig zu einem Treffpunkt für internationale KünstlerInnen ausgebaut werden.

Was soll man sagen? Der Neuanfang stand unter einem guten Stern. Nach den sintflutartigen Wolkenbrüchen der letzten Tage schien pünktlich zum Samstagmorgen die Sonne. Und die vorausgegangenen Regengüsse hatten auch ihre positiven Seiten: Als der Moskauer Musiker German Vinogradov dem erstaunlich zahlreich erschienenen Publikum Einblicke in seine düster-schamanistische „Bicapo“-Religion gewährte, nutzte ein kleines Mädchen die Zeit für eine eigene Performance. Das schätzungsweise dreijährige Kind stand bis zu den Knöcheln im Matsch und warf mit anhaltender Begeisterung Erdklumpen in eine flächendeckende Pfütze.

Das Glück war auch mit Josephine Günschel. Sie hatte eigentlich elektrisch beleuchtete Guckkästen im Erdboden installieren wollen. Als es dann darauf ankam, funkelten ihre Himmelsbilder so geheimnisvoll, als hätte es die vorhergehenden Gewittertage nie gegeben. Im ehemaligen Speicher des Gutshofs zeigte Katrin Glanz ihre Rauminstallation „entwachsen“: etwa vierzig in Gips getauchte Strampelhöschen, klinisch sauber und leichenstarr. Zwei Stockwerke darüber präsentierte der Videokünstler Eric Lanz seinen Film „Gesten“, in dem er unzählige alltägliche Handgriffe aus der Haushaltsarbeit zu einem umwerfenden Splatter im Vier-Sekunden-Takt zusammenschnitt. Ein Heimspiel hatte der Musiker, Komponist und Hörspielautor Frieder Butzmann. Unter tätiger Mithilfe von Cordula Heiland (Klavier) und Joseph Huber (Bandeon) brachte er seine „Stinksymphony“ zur Aufführung. Seit den Konzerten der Genialen Dilettanten Ende der siebziger Jahre gehört Butzmann zu den Stars der Berliner Tonkünstlerszene. Für seine Rhinophonie No.2 für Diaapparat, zwei Instrumentalisten und etliches mehr oder minder Wohlriechendes mit den Sätzen „Lieblich Duftend“, „Molto Aroma“, „Ätzend und Stinkend“ sowie dem Finale „Come l'alito puzzolente di uno amato stronzo“ gab es viel Applaus.

Fazit: ein gelungenes Fest, zumindest wenn man davon absieht, daß in Sachen Gastronomie weiterhin ein gewisser Handlungsbedarf besteht. Das Angebot an Speisen und Getränken, mit dem die zukünftigen Pächter des Künstlerhof-eigenen Restaurants ihren Teil beisteuerten, war eher miserabel. Bratwurst mit Brötchen, Nackensteak, dafür kommt in Zukunft niemand dorthin, das ist sicher.

Mit dem Neustart hat der Künstlerhof, respektive die Akademie der Künste, auch eine Hypothek aufgenommen. Denn wie es hier weitergeht, steht in den Sternen. Man wird dort viel Engagement brauchen, um den Ort über das Pfingstfest hinaus attraktiv zu gestalten, vielleicht mehr als die Akademie leisten kann und mag. Beibehalten werden sollen die zweiundzwanzig Ateliers. Elf davon sind über den Berufsverband Bildender Künstler (BBK) vergeben und fest belegt, die übrigen werden für Gastkünstler reserviert. Hinzukommen sollen ferner das Elektro-Akustische Studio der Akademie der Künste, ein Videostudio, Künstlerwerkstätten, ein Fotolabor, ein Künstlergästehaus und, wie gesagt, ein Restaurant. Soweit, sofern. Erst muß das Gelände nach und nach saniert werden. 800.000 Mark stehen dem Künstlerhof pro Jahr zur Verfügung – davon geht rund die Hälfte allein für die Heizung drauf. Ulrich Clewing