■ Drei mögliche Aufgaben sehen EU und Nato für ihre schnelle Eingreiftruppe in Bosnien vor: Befreiung der Geiseln, Hilfe bei der "Umgruppierung" der Blauhelm-Einheiten sowie die Sicherung eines...
: Eingreifen statt zuschauen?

Drei mögliche Aufgaben sehen EU und Nato für ihre schnelle Eingreiftruppe in Bosnien vor: Befreiung der Geiseln, Hilfe bei der „Umgruppierung“ der Blauhelm-Einheiten sowie die Sicherung eines Versorgungskorridors nach Sarajevo.

Eingreifen statt zuschauen?

Die ohnehin komplizierte internationale Gemengelage um Bosnien ist über das Pfingstwochenende noch verworrener geworden. Zwar treiben eine Reihe von Nato- Staaten ihre Planungen und Vorbereitungen voran, um ab spätestens Mitte Juni zu militärischen Eingriffen in der Lage zu sein. Art, Ziel und Umfang militärischer Maßnahmen sowie die Frage, unter welchem Oberkommando sie stattfinden sollen, sind jedoch weiterhin offen. Auch ist nicht klar, ob die Regierungen und Parlamente der Nato-Staaten sowie der UNO- Sicherheitsrat grünes Licht für ein militärisches Vorgehen geben werden.

Zusätzlich kompliziert wird die Lage durch die anhaltende Geiselnahme von 260 Unprofor-Soldaten durch die bosnischen Serben. Auch bei den Verhandlungen der „Kontaktgruppe“ mit Serbiens Präsident Milošević über eine Anerkennung Bosniens bleibt ein Durchbruch weiterhin aus.

14 Außen-und Verteidigungsminister von EU- und Nato-Staaten verständigten sich am Samstag in Paris über die Aufstellung einer bis zu 10.000 Mann starken Eingreiftruppe. Frankreich und Großbritannien, die auch an der bisherigen 22.400 Mann starken Unprofor in Bosnien die größten Kontingente stellen, wollen den Hauptteil schicken – Frankreich rund 2.000 und Großbritannien bis zu 6.500 Soldaten. Beteiligen wollen sich auch die Nato-Staaten Niederlande, Dänemark, Norwegen und Türkei.

Offiziell wurden in Paris drei mögliche Einsatzaufgaben für die neue Truppe genannt: Befreiung der von den Serben festgehaltenen Geiseln, Hilfe bei der „Umgruppierung“ von Unprofor-Einheiten aus für sie gefährlichen Regionen Bosniens (etwa aus den drei Enklaven Goražde, Zepa und Srebenica) in sichere Gebiete sowie Schaffung und Sicherung eines Versorgungskorridors von der Adriaküste bis nach Sarajevo.

Unsicher, ob Rußland die Eingreiftruppe absegnet

Nach inoffiziellen Informationen aus dem Brüsseler Nato-Hauptquartier sowie den Verteidigungsministerien einzelner Nato-Staaten soll die Eingreiftruppe jedoch möglicherweise auch Militäranlagen der Karadžić-Serben zerstören, um deren Schlagkraft zu verringern. Dies soll vorzugsweise durch Luftangriffe erfolgen. Die Eingreiftruppe soll nach den Pariser Beschlüssen dem französischen Oberkommandierenden aller UNO-Truppen in Ex-Jugoslawien, General Janvier, unterstellt werden, der die Befehlsgewalt wiederum an seinen britischen Kollegen Smith, Oberkommandierender der Unprofor in Bosnien, delegieren kann. Der Einsatz der Eingreiftruppe soll nach den Vorstellungen der in Paris versammelten Minister grundsätzlich durch den UNO-Sicherheitsrat gebilligt werden. Nach dieser Billigung sollen konkrete Maßnahmen aber nicht mehr der Einzelgenehmigung durch den Rat oder durch UNO- Generalsekretär Butros Ghali bedürfen. Die Aufstellung einer Eingreiftruppe entspricht in etwa der „multinationalen Truppe“, die Butros Ghali dem Rat letzte Woche als eine von vier Optionen für die Zukunft der UNO-Mission in Bosnien vorgelegt hatte. Es ist jedoch völlig offen, ob Rußland diese Eingreifruppe im Sicherheitsrat absegnet, zumal wenn ihre Aufgaben über die „Umgruppierung“ hinausgeht.

Für zusätzliche Verwirrung sorgt die Haltung der USA. Unter starkem innenpolitischen Druck durch die republikanische Kongreßmehrheit zog Präsident Clinton am Samstag seine erst Mitte letzter Woche gemachte Ankündigung zurück, Washington werde nicht nur Soldaten zur Sicherung eines Totalabzugs bereitstellen, sondern auch für eine „Umgruppierung“ der Unprofor. Zugleich mehren sich jedoch die Indizien für eine Beteiligung der USA an militärischen Operationen ohne den Einsatz von Bodentruppen. Auf ihrem Stützpunkt im bayerischen Grafenwöhr führten US-Militärs am Wochenende Hubschraubermanöver und Schießübungen durch. Diese Manöver waren umfangreicher als vor dem Golfkrieg vom Januar 1991.

Senator Dole und andere führende Politiker der Republikaner sprachen sich inzwischen für Luftangriffe nicht nur auf militärische Anlagen der bosnischen Serben, sondern auch in Serbien aus. Auch die in den letzten Wochen fast vergessene Forderung nach Aufhebung des Waffenembargos gegen die bosnische Regierung in Sarajevo wurden von den Republikanern wieder erhoben. Die Stimmung in den USA dürfte in den kommenden Tagen von der weiteren Entwicklung der Geiselaffäre sowie vom Schicksal des F 16-Piloten abhängen, dessen Flugzeug am letzten Freitag von den Karadžić-Serben über Banja Luka abgeschossen wurde. Nach Angaben der Serben befinden sich der Pilot sowie möglicherweise auch der Pilot eines abgestürzten US-Kampfhubschraubers in ihrer Gefangenschaft.

Am Samstag hatten die bosnischen Serben 120 der festgehaltenen 380 Unprofor-Soldaten freigelassen und in Bussen nach Serbien abgeschoben. Nachdem Serbiens Präsident Milošević am Samstag eine Freilassung der restlichen 260 Unprofor-Soldaten „in den nächsten Tagen“ angekündigt hatte, verlangte die Führung der Karadžić-Serben am Sonntag erneut den öffentlichen Verzicht auf Luftangriffe und auf andere militärische Maßnahmen der UNO und der Nato, die über Funktion und Mandat der bisherigen Unprofor- Truppe hinausgehen. Andreas Zumach