Öko-Motor wird im Kollektiv gebaut

Das Mariendorfer Werk von Mercedes-Benz soll ab 1997 täglich 500 Motoren für das Swatch-Auto herstellen / Entlassungen und Gruppenarbeit als Voraussetzung für den Auftrag  ■ Von Hannes Koch

Das Mercedes-Benz-Werk in Marienfelde hat das Berliner Fabrikensterben einstweilen überlebt. Die Entlassung von 700 Beschäftigten in drei Jahren und Erhöhung der Produktivität durch neue Formen der Gruppenarbeit wird jetzt honoriert. Die Unternehmensleitung in Stuttgart hat beschlossen, daß die Filiale ab August 1997 pro Jahr 200.000 Motoren für das Swatch-Auto herstellen soll, welches heute offiziell „Smart“ heißt. Zwischen 2.500 und 3.000 Arbeitsplätze bleiben in Marienfelde gesichert.

Daß die Daimler-Tochter Mercedes-Benz neben ihren spritfressenden Straßenkreuzern bald auch vergleichsweise umweltschonende Kleinwagen produziert, gilt als ökologischer Meilenstein. Das Swatch-Auto verbraucht drei bis vier Liter Benzin auf 100 Kilometern und benötigt wegen seiner geringen Ausmaße (1,40 Meter Breite und 2,50 Meter Länge) bei der Herstellung weniger Rohstoffe als herkömmliche Fahrzeuge.

Wenn die Motoren die Werkshallen unweit des S-Bahnhofs Marienfelde verlassen, gehen sie erst einmal auf Reisen. Per Bundesbahn rollen täglich 500 Swatch- Aggregate ins lothringische Hambach, wo die Mocro Compact Car AG die zweisitzigen Karossen fertigt. An der Firma in Frankreich ist Mercedes-Benz zu 51 Prozent beteiligt. 49 Prozent hält die Schweizerische Gesellschaft für Mikroelektronik und Uhrenindustrie, die auch die Swatch-Uhr baut.

Wer allerdings hofft, daß Mercedes dank des neuen Kleinwagens allmählich Abschied von den Nobelkarossen der E- und S-Klasse nimmt, muß sich eines Besseren belehren lassen. Der Konzern wolle neue Kundenkreise erschließen, ohne auf seine Limousinen zu verzichten, meint Kurt Krause, Vorsitzender des Betriebsrates in Marienfelde. Ein neues Marktsegment soll zusätzlichen Gewinn bringen. Die Swatch-Autos sind als Zweit- und Drittwagen für zahlungskräftige KundInnen in der Stadt gedacht.

Außer dem Swatch-Auto will Mercedes einen weiteren Kleinwagen mit Motoren aus Berlin bestücken. Ab 2005 laufen auch die Maschinen der A-Klasse vom Band, einer viersitzigen Familienkutsche, die etwas größer ausfällt als der „Smart“. Das Werk, das heute im wesentlichen Ersatzteile und Austauschmotoren herstellt, bekam die Aufträge nur, weil man jahrelang vehement die Produktionskosten reduzierte. Die Rohversion des Swatch-Motors muß zu einem Festpreis geliefert werden – und keinen Pfennig mehr, erläutert Betriebsrat Krause. Wäre das Angebot an die Firmenleitung in Stuttgart teurer ausgefallen, hätte ein anderes Werk den Zuschlag bekommen.

Wie also die Kosten senken, lautete die Frage vor Jahren. Mit Gruppenarbeit statt strikter Arbeitsaufteilung, so vermutete man, lasse sich die Produktivität der Beschäftigten um zehn bis 15 Prozent erhöhen. Bis 1996 sollen rund 1.400 Berliner Mercedes-ArbeiterInnen diese neue Form der Arbeitsorganisation praktizieren.

Ein Beispiel: In der Dreherei besteht eine Arbeitsgruppe aus acht Beschäftigten an sechs Maschinen. Sie erhalten den Auftrag, eine bestimmte Stückzahl innerhalb von 14 Tagen zu fertigen. Welcher Kollege dann an welcher Drehbank steht, wer mal einen Tag frei machen darf, bestimmt die Gruppe selbst. Weil durch Qualifizierung jeder Facharbeiter sich grundsätzlich mit jedem Arbeitsschritt auskennt und die neue Schicksalsgemeinschaft kollektiv für die pünktliche Lieferung verantwortlich ist, übernehmen die KollegInnen den Job derjenigen, die krank werden. Produktivität und Leistung steigen, damit auch Druck und Streß.

So wirkt die Gruppenarbeit als Rationalisierungsinstrument. Denn früher stellte der einsame Akkordarbeiter seine Maschine ab, wenn er zum Arzt ging, die KollegInnen links und rechts – an ihr eigenes Akkordsoll gefesselt – konnten und wollten den Ausfall nicht ausgleichen. Ein zusätzlicher Springer mußte ran, der in Zeiten der solidarischen Gruppenarbeit nun nicht mehr gebraucht wird.

Zudem fallen ganze Berufsgruppen weg. Einrichter, einst für die Einstellung der Maschinen zuständig, sind heute überflüssig. Das Team kann's selbst. Nicht, daß einrichter massenhaft entlassen wurden, doch man setzte sie im Werk nach entsprechender Fortbildung auf andere Stellen, und ihre ursprüngliche Tätigkeit wurde mit der Zeit eingespart. So hat die neue Form der Arbeitsorganisation einen Anteil daran, daß die Zahl der Beschäftigten um 700 auf heute noch 2.756 sank. Als wesentlichen Grund für den Abbau sieht Betriebsrat Krause, daß Mercedes- Benz in den vergangenen Jahren erstmalig von der wirtschaftlichen Rezession betroffen wurde.

Weil der Zusammenhang zwischen Rationalisierung und Gruppenarbeit nicht zu leugnen ist, genießt letztere bei vielen Beschäftigten nicht den besten Ruf. Trotzdem, so berichtet Kurt Krause über seine KollegInnen, wollten die meisten nicht mehr zurück in die strikte Arbeitsteilung. „Die Zufriedenheit ist gestiegen, der Krankenstand gesunken.“ Zunehmendem Druck steht mehr Entscheidungsfreiheit und Verantwortung gegenüber.

Trotz Swatch-Auto und Gruppenarbeit schreibt das Mercedes- Werk in Marienfelde noch 50 Millionen Mark rote Zahlen pro Jahr. Erst 1999 will man die Schwelle zum schwarzen Bereich überschreiten. Dabei hilft auch eine Einrichtung, die moderne Betriebswirtschaftler als „KVP“ bezeichnen – kontinuierlicher Verbesserungsprozeß. Die engagierten Teams stellen nicht nur Motoren her, sondern erhöhen auch permanent die Qualität des Produkts und beschleunigen ihre Arbeitsabläufe. Beim Bau des benzinsparenden Kleinwagens werden sich einige Mercedes-ArbeiterInnen selbst wegrationalisieren.