Benzingeruch liegt in der Luft

An der rumänisch-serbischen Grenze blüht der Treibstoffschmuggel nach Restjugoslawien / Nirgends gibt es so viele Tankstellen / Ganze Dörfer leben vom Handel / Die Grenzsoldaten gucken weg  ■ Von Keno Verseck

In der Bahnhofskneipe von Turnu Severin läßt der Suff Legenden darüber entstehen, was sich hundert Kilometer flußaufwärts in den Nächten abspielt. Es ist zwei Uhr früh, draußen regnet es in Strömen. Der Betrunkene am Nebentisch, über eine Flasche Wodka und ein Glas abgestandene Cola gebeugt, lallt: „Mit ihren Motoren ... hängen sie die Patrouillenboote einfach ab ... und machen dreitausend bei einer Tour ... Mark.“ Seine beiden Kumpane vernehmen es halb ungläubig, halb mitgerissen. Er nickt ihnen zu, seine Mundwinkel verziehen sich bitter. Dann spült er den Traum von dreitausend Mark in einer einzigen Nacht mit Wodka herunter. Soviel Geld, wie er in zwei ganzen Jahren nicht verdient.

Tagsüber herrscht flußaufwärts eine vollendete Idylle. Im gleißenden Sonnenlicht fließt die Donau träge herab zum Eisernen Tor. An beiden Ufern ragen weißgraue Felsen empor, die Straße schlängelt sich hoch über dem Fluß entlang. Alle zwanzig, dreißig Kilometer drängen sich in einer Bucht, dort, wo der Zugang zum Fluß günstig ist, windschiefe Katen zu einem Fischerdörfchen. Doch niemand fischt mehr. Statt dessen bauen die Einwohner überall neue große Häuser. Über den Dörfern liegt Benzingeruch.

Nur hin und wieder verkehren auf der bald steinigen, bald schlecht asphaltierten Nebenstraße Autos. Ihre Anhänger sind mit Kanistern und Tonnen beladen. Plötzlich steht hinter einer Straßenbiegung, da, wo das Ufer sanft abfällt, eine neue Tankstelle, mitten in der menschenleeren Felslandschaft. Ein Stück weiter flußaufwärts warten drüben, auf der serbischen Seite, die Tanklastzüge.

Der Benzinschmuggel von Rumänien nach Serbien blüht, seitdem das UN-Embargo gegen Restjugoslawien verhängt wurde. Es ist vermutlich das größte und weitverbreitetste illegale Geschäft Rumäniens. Und es nimmt an Umfang beständig zu: Nirgendwo herrscht eine so hohe Tankstellendichte in Rumänien wie im Grenzgebiet zu Serbien. Neue Tankstellen werden überall hinzugebaut. Tanklastzüge verkehren hier so häufig wie Pkws. Tausende von Menschen schmuggeln Benzin. Die Mengen reichen von Literflaschen und Kanistern über Zweihundertliter-Fässer, mit denen die Boote auf der Donau beladen werden, bis hin zu riesigen versteckten Tanks in Bussen und Lkws, die über den Landweg verkehren.

Inwieweit rumänische Behörden in den Benzinschmuggel verwickelt sind, darum ranken sich die ungeheuerlichsten Spekulationen. Unter den Leuten vor Ort heißt es meist, Dorfpolizisten und Grenzer würden wegschauen und dafür D-Mark kassieren. Allerlei andere Gerüchte machen Schlagzeilen in der Presse: korrupte Grenzer würden Patrouillen– und Aktionspläne ihrer Einheiten an die Schmuggler verraten, hochrangige Politiker seien in das Geschäft verwickelt, manche Landübergänge würden nachts geschlossen, damit Schmuggler großer Mengen ungehindert passieren könnten.

Fest steht: Die Polizei hat schon Güterzüge voll Benzin beschlagnahmt, die nach Serbien fahren sollten. Aber die konfiszierten Mengen, die sich auf den Höfen der rumänischen Grenzeinheiten angesammelt haben, wirken lächerlich gegen das, was jeden Tag in der Region ankommt – es sind vielleicht einige tausend Liter, die alle paar Wochen beschlagnahmt werden. Ebenso steht fest, daß die Kommandanten einiger Grenzstationen mehrmals ausgewechselt wurden, weil sie den Schmuggel mitorganisiert hatten. Im umgekehrten Falle, wenn Grenzer Benzintransporte zu verhindern suchen, reagieren die Schmuggler drastisch – Soldaten und Offiziere berichten von Morddrohungen, gedungenen Schlägern und Lynchversuchen.

Daß die Einheimischen ungebetene Gäste mit Gewalt aus ihrem Dorf vertreiben, bekommen die Besucher bald selbst zu spüren. In Berzasca, einem winzigen Dorf auf halber Strecke zwischen Turnu Severin und dem Städtchen Altmoldova, füllt eine Alte an einer Tankstelle eben die Kanister auf ihrem Pferdewagen. Dem Fotografen, der diese Szene festhalten will, schlägt der einäugige, betrunkene Tankstellenbesitzer mit der Faust ins Gesicht und schreit: „Werft sie ins Wasser!“ Auf der anderen Straßenseite versammeln sich schnell zwei Dutzend Dörfler, gehen auf den Berichterstatter und eine rumänische Journalistin los und zerreißen das Mikrofonkabel ihres Aufnahmegerätes.

Mit Mühe gelingt es, aus dem Dorf zu entkommen. Ein paar Kilometer weiter spazieren drei Soldaten am Fluß entlang. Sie belächeln den Zwischenfall. „Kommt öfters vor. Aber ihr habt Glück gehabt“, meinen sie. Ein Lkw-Fahrer aus dem Dorf, der alles mit angesehen hat und den Besuchern nachgefahren ist, hält an, nachdem die Soldaten weitergezogen sind, und sagt dasselbe.

Der Mann ist selbst Schmuggler und kommt ins Plaudern. Das Benzin verkauft er am serbischen Ufer für 80 bis 85 Pfennig pro Liter und macht so einen Gewinn von 30 bis 40 Pfennig, je nach Einkaufspreis. In einer Nacht könne er schon mal tausend, zweitausend Mark verdienen. Er zeigt lässig einen Packen 500-Mark-Scheine und seinen Johnson-Bootsmotor: „Mit dem bist du in 30 Sekunden drüben, fünf Minuten abladen und zurück.“ Und die Polizei, die Grenzer? Er winkt nur ab. „Warum sie uns nicht verhaften? Die wollen nicht.“ Er macht mit Daumen und Zeigefinger das Zeichen des Geldzählens. Und rumänische Politiker, die UNO, was unternehmen sie? Der Mann schüttelt den Kopf angesichts von soviel Naivität. „Was glaubst du, warum hier manchmal schwarze BMWs und Mercedesse aus Bukarest vorfahren? Die kassieren ab. Und wenn die UNO auftaucht, sind wir längst vorgewarnt.“ Wieviel Schmiergeld er bezahlt, will er nicht sagen. „Du fragst zuviel“, erwidert er lakonisch. Er steigt in seinen Lastwagen und gibt Gas.

Es ist das erste und letzte Mal, daß jemand eingesteht, Benzin zu schmuggeln. Obwohl es völlig offensichtlich ist – vielleicht nirgendwo so sehr wie im Dorf Pescari, in Rumänien berühmt als „Dorf der Millionäre“. Am Kontrollposten vor Pescari werden die Besucher gerade nach „Waffen und Drogen“ durchsucht, als fünf leere Boote über die Donau zurückkehren. „Ja, vom Fischen“, grinst der Grenzer ironisch und schaut sich nicht einmal um. Drüben, auf der serbischen Seite, fahren Tanklastzüge in Richtung Inland. Schwarze Limousinen rasen flußabwärts. Auf der rumänischen Seite werden außer den Besuchern alle Wagen und Tanklastzüge durchgewunken. Tags darauf wird der Fotograf eine Erlaubnis erhalten, Bilder am Kontrollposten zu machen. Und solange er fotografiert, wird kein Gefährt passieren, ohne angehalten zu werden.

Das Dorf Pescari ist eine große Baustelle. Überall stehen neue, mehrstöckige Häuser, manche schon fertig. Vor ihnen parken neue BMWs, neue Mercedesse, neue Jeeps. Über dem Dorf hängt der Geruch von Benzin. Es gibt zwei Tankstellen und einen Lebensmittelladen. Die Preise für Obst und Gemüse liegen um ein Drittel höher als in der Hauptstadt. Tanklastwagen bahnen sich ihren Weg über die enge, holprige Dorfstraße, Kipper schleppen Baumaterial heran. Auf die Wände mancher Baracken ist eilig „Rauchen verboten!“ hingeschmiert. Niemand hat je etwas vom Benzinschmuggel gehört. Der Bürgermeister hütet, wie die Sekretärin im Haus des „Volksrates“ mitteilt, seit drei Monaten mit gebrochenem Fuß das Bett. Die Frau des Bürgermeisters sagt, ihr Mann sei gerade nach Bukarest unterwegs. Den Fässern im Hof entströmt Benzingeruch.

Die Frau im Haus Nummer 11 ist vor ein paar Tagen Witwe geworden. Eines Nachts machte sich ihr Mann auf zum anderen Ufer. Er kam nicht mehr zurück. „Er fuhr zum Fischen“, sagt die Witwe, ohne die Miene zu verziehen, und schnürt ihr schwarzes Kopftuch enger. „Es war Sturm.“ Nun wartet sie darauf, daß ihr Mann irgendwo aus dem Wasser gefischt wird, damit sie ihn begraben kann. „Gott hat es so gewollt“, sagt sie gleichgültig und schaut aufs Wasser hinaus. Über dem Hof des Hauses Nummer 11 liegt – was sonst – der Geruch von Benzin.

Jede Woche fordert das Benzin neue Tote. Die beladenen Boote kentern bei hohem Wellengang, serbische Banden sollen in den letzten Wochen aufgetaucht sein und Schmuggler erschossen haben. Oder ein Lager, ein Benzintransporter explodiert. Ein paar ausgebrannte Autowracks auf der Straße hinter Pescari zeugen davon. Es gibt kein Gesetz, welches den Transport und die Aufbewahrung von Benzin regelt oder beschränkt. Der Kommandant der Grenzeinheit im Städtchen Altmoldova, Ioan Mutuzag, zuckt darüber nur die Schultern. „Die Gesetze sind gut, so wie sie sind. Ob das Parlament ein neues macht, da mische ich mich nicht ein.“ Er verdammt lieber die Presse und ihre Gerüchteküche. „Bei uns hat es niemals auch nur einen einzigen Fall von Korruption gegeben“, sagt er nachdrücklich.

Halb Altmoldova lebt vom Schmuggel. Wenn die Gerüchte stimmen. Es ist ein rauhes, freudloses Städtchen. Hier wohnen 14.000 Menschen. Neben verkommenen Häusern stehen verkommene Neubaublocks, die unteren Etagen bewohnt, die oberen ausgebrannt oder zerstört. Die aufgerissenen Straßen und Plätze gleichen einer Mondlandschaft. Vor dem Postamt stehen in einem eingezäunten Beet zwischen verwelkten Blumen Nachbildungen der „Unendlichen Säule“ des rumänischen Bildhauers Constantin BrÛncuși. Fünf Stück, einen Meter hoch, bemalt mit volkstümlichen Motiven. An einem Pfahl hängt ein Blechschild, zerbeult, verrostet. „Frieden!“ steht darauf.

Warmes Wasser fließt seit fünf Jahren im ganzen Städtchen nicht mehr, kaltes manchmal morgens für eine Stunde. Es gibt ein paar halbleere Läden, einen Gemüse- und Trödelmarkt, ein paar schäbige Bars, in denen Hollywood- Helden von Plakaten auf die Gäste schießen, ein Restaurant, in dem fauliges Essen serviert wird. Und es gibt fünfzehn Tankstellen. Die Leute auf der Straße schreien sich an, und ihre Sprache strotzt von wüsten Flüchen. Kinder in Lumpen schießen mit imaginären Gewehren auf Erwachsene. Sie wissen, was das Embargo bedeutet, obwohl sie kaum sprechen können. Vor den Tankstellen stehen die Eltern Schlange. Viele schicken ihre Kinder über die Donau, erzählt ein Grenzer. Minderjährige können nicht belangt werden.

Atanasiu Moraru verkauft Kanister. Er hat sie im Vorgarten seines Neubaublocks gelagert, ein paar hundert Stück. Das Geschäft läuft schlecht, denn er hat im Großhandel die falschen bestellt. Sie sind zu hoch, zu schmal, und die Öffnung ist zu klein. Der 54jährige arbeitete 30 Jahre lang im Kupferbergwerk in Neumoldova, ging in Rente und ist nun Kleinunternehmer, obwohl er mit 120 Mark Bergarbeiterrente im Monat mehr bekommt, als die meisten im Land durch Arbeit verdienen.

Die Fabriken in der Umgegend haben in den letzten Jahren zugemacht, nur im Bergwerk arbeiten noch 3.000 Menschen, erzählt Moraru. „Die meisten haben nichts mehr, da müssen sie eben die Sache mit Jugoslawien machen. Viele sind arm und manche reich geworden. Und alle beten, daß das Embargo nicht aufgehoben wird.“