Jubeln und Singen in Südafrikas Todeszellen

■ Südafrikas Verfassungsgericht schafft die Todesstrafe ab – entgegen der Meinung der meisten Weißen und auch vieler Schwarzer / 453 Todeskandidaten

Johannesburg (taz) – Die 453 meist schwarzen Gefangenen, die derzeit in südafrikanischen „Todeszellen“ sitzen, fingen spontan an zu klatschen und zu singen, als sie die Nachricht im Radio hörten. Das südafrikanische Verfassungsgericht entschied gestern einstimmig, daß die Todesstrafe mit sofortiger Wirkung abgeschafft wird. Dem Staat und all seinen Organen, so der Vorsitzende Richter Arthur Chaskalson, sei es künftig verboten, Menschen hinzurichten. Der entsprechende Abschnitt im Strafgesetz sei mit der derzeit geltenden Verfassung nicht vereinbar.

Damit sind auch alle Todesurteile, die noch zur Apartheid-Zeit verhängt worden waren, aufgehoben. Anstoß für die Entscheidung war eine Verfassungsklage zweier Todeskandidaten, die im August 1990 bei einem Überfall auf einen Geldtransport vier Männer, darunter zwei Polizisten, ermordet hatten und daraufhin zum Tod durch den Strang verurteilt worden waren. Die Befassung mit der Todesstrafe war die erste Anhörung, die das im Februar vereidigte neue Verfassungsgericht – dem unter anderem der Menschenrechtler Albie Sache angehört – überhaupt vornahm.

Zu Apartheid-Zeiten hielt Südafrika in Sachen Todesstrafe einen traurigen Rekord. Allein in den Jahren 1980 bis 1989 wurden 1.123 Menschen hingerichtet. Der letzte weiße Präsident des Landes, Frederik Willem de Klerk (NP), setzte 1990 die Vollstreckung von Todesurteilen aus. Bei der Ausarbeitung der Übergangsverfassung konnten sich ANC und NP nicht über die Todesstrafe einigen und verwiesen die Entscheidung an das Verfassungsgericht. Bei dessen erster Anhörung im Februar argumentierten Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft, die Verfassung lasse die Einschränkung von Grundrechten unter bestimmten Bedingungen zu. Gegner der Todesstrafe hingegen sagten, daß die Übergangsverfassung ein Recht auf Leben garantiere. Dies müsse auch für Todesurteile gelten, die vor dem Inkrafttreten der Übergangsverfassung stammen.

Die Abschaffung der Todesstrafe wird in Südafrika kontrovers diskutiert. Die Kriminalitätsstatistik für das vergangene Jahr weist der Republik immer noch einen Platz unter den Weltersten zu. Zwar hat die politisch motivierte Gewalt seit den ersten freien Wahlen im April 1994 abgenommen, die allgemeine Kriminalität steigt jedoch rapide an. Nach einer neuen Polizeistatistik wurden im vergangenen Jahr 16.000 Südafrikaner ermordert – etwa 44 jeden Tag. Weitere 20.000 waren Opfer von versuchten Morden, mehr als 30.000 wurden ausgeraubt. Insgesamt ist die Kriminalitätsrate in Südafrika seit 1990 um mehr als 90 Prozent gestiegen. Während Menschenrechtsorganisationen und der ANC für die Abschaffung der Todesstrafe kämpften, vertreten konservative Politiker und Juristen die Ansicht, eine Abschaffung würde zu Lynchjustiz führen. Nach einer Meinungsumfrage vom März diesen Jahres befürworten 80 Prozent aller weißen Südafrikaner die Todesstrafe und immerhin auch 49 Prozent der schwarzen. Dementsprechend gemischt waren gestern auch die Reaktionen in Südafrika. Während Menschenrechtsorganisationen den Beschluß begrüßten, wurde er von der NP und auch der liberalen weißen Demokratischen Partei scharf kritisiert. Kordula Doerfler