Von Katzenmorden u.a.

■ Als 10. Produktion zeigt Matthias Wittekindts Brüssel-Projekt "Das kleine Nichts"

Man unterhält sich über den kaputten Plattenspieler und spekuliert, ob der Abend mit Musik vielleicht ein wenig kurzweiliger würde. Die Ermordung von Katzen ist ein Thema, Brittas schmerzende Schuhe ein anderes. Und natürlich auch, ob Professor Svenson und Herr Petersson bei Betrachtung derselben nicht doch ihre Aufmerksamkeit zu sehr auf das Bein der Trägerin legen.

Der Beschreibung von Anatomien und Bewegungsabläufen wird im übrigen sehr viel Aufmerksamkeit geschenkt. Da referiert Herr Johannson – den Füller als Zeigestab gezückt – minutiös über die Haltung, die Freund Petersson auf einem Stuhl eingenommen hat, da wird das schöne Bild beschworen, das die Damen – Greta heißt die andere – abgeben, wenn sie ein Glas in der Hand halten. Partygeplänkel? Verlegenheitspartikel einer herausgeputzten Abendgesellschaft? Worthülsen als Füllsel, um das Schweigen zu stopfen? Jein.

Mit pseudointellektuellem Vernissagengeschwätz à la früher Botho Strauß hat „Das kleine Nichts“ kaum etwas zu tun. Trotzdem beschreibt es, überhöht und gänzlich künstlich, Realität. Man trifft sich und redet über dies und das, geht wieder auseinander. Das Brüssel-Projekt konstatiert das, den kulturkritischen Besen schwingt es nicht.

Er schreibe seine Stücke wie eine Partitur, wie ein Orchesterstück, sagt Autor und Regisseur Matthias Wittekindt. Folgerichtig dienen seine Dialoge nicht in erster Linie der Kommunikation. Wie die Stimmen einzelner Instrumente überlappen sich Sätze und Wörter, nehmen die Schauspieler Rhythmen und Klangmotive des Vorredners auf, sprechen im Duett oder im Chor.

Britta und Greta, die beiden Damen der fünfköpfigen Soiréeversammlung, sind fast wie siamesische Zwillinge. Sie flöten ihre Kommentare synchron, hüpfen gemeinsam von den kleinen Podesten herunter, die neben einer Stuhlkonstruktion, einem Regal und einer Art Teewagen die einzigen Requisiten im von halbhohen Metallwänden eingefaßten Bühnenraum sind, und durchmessen das Gesellschaftszimmer.

Die Männer, allesamt Herren mit Stehkragen und Schlips, reagieren oder reagieren nicht. Man ist höflich und etwas gespreizt, sowohl in den ausgeklügelten Wortkaskaden als auch in den Bewegungen. Auch die sind Partitur. Ein Ballett der Schritte und Gesten, in einer fiktiven Villa in Spandau. Ein surreal komisches Bürgerintermezzo in zwei Teilen.

Einmal vor, einmal nach der Pause ist Party. Das Programmheft behauptet einen zeitlichen Abstand von 30 Jahren, der aber kaum sichtbar wird. Soll er auch nicht, denn verändert hat sich wenig. Herr Petersson ist immerhin gerade von einer Reise heimgekehrt und hat einige Mitbringsel dabei. Gesprächsstoff, neue Wortschleifen.

Das Brüssel-Projekt, das den Namen seiner ersten Produktion fortan als Gruppensignet beibehalten hat, besteht seit mittlerweile acht Jahren. Zehn Stücke hat es seither auf die Bühne gebracht, die sämtlich aus der Feder des Initiators, Autors und Regisseurs Matthias Wittekindt stammen.

Wittekindt selbst ist gelernter Architekt. Seit anderthalb Jahren übt der 36jährige seinen Beruf allerdings nicht mehr aus. Als Autor und Inszenator eigener und fremder Werke arbeitete er auch schon an mehreren Landestheatern. Das Berliner Off allein reicht als Lebensgrundlage nicht aus, obwohl das Brüssel-Projekt in den letzten beiden Jahren Projektförderung aus dem Freie-Gruppen-Topf erhielt und auch schon mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde.

Die eigentliche Profession des Autor-Regisseurs ist seinem Stück deutlich anzumerken. Es ist durchkonstruiert wie auf einem Zeichenbrett. Keine Bewegung ist zufällig, kein Tonfall. Die fünf SchauspielerInnen agieren mit schier atemberaubender Präzision, wie von einem Körperuhrwerk gesteuert. Dennoch bringen sie das Kunststück fertig, daß ihre Figuren trotz maschineller Manieriertheit etwas wie ein Eigenleben besitzen.

Sie könnten einem Ibsen- Drama entsprungen sein, diese nordischen, kühl-gründlichen Bürger, und dann wieder einem Salonstück von Oscar Wilde, wenn sie spitz snobistisch ihre kleinen Unverschämtheiten durch den Raum werfen. Nur eine Zutat fehlt bei dieser filigran-witzigen Etüde über die Wahrheit der kleinen Momente: ein bißchen Sinnlichkeit. Gerd Hartmann

Brüssel-Projekt: „Das kleine Nichts“, bis 27. 6. (außer 24. 6.), Fr–Di, 20.30 Uhr, bei STÜKKE, Hasenheide 54, Kreuzberg